Königreich zwischen den Konflikten
Jordanien sieht sich mit der Beherbergung von geflohenen Syrern und Palästinensern überfordert
Am Straßenrand ist die Gastfreundschaft zu Ende. »Ausweise; Papiere«, schreien zwei Polizisten die Männer an - Syrer, Flüchtlinge, Tagelöhner, die am Dienstagmorgen an einer Ausfallstraße in Amman auf Auftraggeber warten. Verunsichert kramen einige der Männer in der Hosentasche, wohl wissend, dass sie das, was die Beamten sehen wollen, darin nicht finden werden.
»Es gibt keine Arbeitsgenehmigungen für Flüchtlinge,« sagt Alain Dupont, der für das Internationale Rote Kreuz arbeitet. »Die Leute dürfen nicht einmal die Flüchtlingslager im Norden verlassen, wenn sie keinen Bürgen haben.« Und das trifft mittlerweile auf die allermeisten Flüchtlinge zu, die in den vergangenen Jahren aus Syrien, Irak, aber auch aus Sudan und Eritrea nach Jordanien gekommen sind: Seit 2014 muss der Bürge nicht nur Jordanier, sondern auch mit dem Flüchtling verwandt sein.
»Wir befinden uns in einer ausgesprochen schwierigen Situation«, sagt Premierminister Abdullah Ensur, dessen Regierung die Grenze mittlerweile so gut wie geschlossen hat: Während Bundespräsident Joachim Gauck Anfang der Woche im Flüchtlingslager Azrak die Gastfreundschaft der Jordanier lobte, warteten 12 000 Menschen im Dreiländereck Jordanien-Syrien-Irak in einer lebensfeindlichen Wüstenregion, in einem rudimentären Lager auf die Einreise.
An die 600 000 Flüchtlinge sind beim Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) in Jordanien registriert; Ensur geht davon aus, dass darüber hinaus noch 800 000 unregistrierte Flüchtlinge im Land untergekommen sind: »Die Ressourcen sind nahezu komplett ausgelastet. Wohnraum und Arbeit sind knapp, die Stimmung in unserer einheimischen Bevölkerung droht zu kippen.«
Das UNHCR warnte vor ersten Todesfällen und forderte Jordanien auf, vor allem Schwangere, Ältere und Kleinkinder umgehend ins Land zu lassen. Der Andrang an der Grenze zu Jordanien hatte wegen der Intensivierung des Krieges in Syrien zuletzt stark zugenommen.
Mehr als 100 000 Menschen könnten allein im Flüchtlingslager Azrak unterkommen, nur an die 20 000 leben dort tatsächlich. Viele mehr sind seit der Eröffnung des mitten in der Wüste gelegenen Lagers von dort weiter geflohen, in die Städte. Denn die Bedingungen in Azrak sind hart: Es ist heiß im Sommer, kalt im Winter; es mangelt an Strom und Wasser. Arbeit gibt es so gut wie keine. Dafür sind die Nahrungsmittelpreise extrem hoch.
Das UNHCR steht der Situation relativ hilflos gegenüber: Trotz zahlreicher Besucher von Politikern aus dem Ausland arbeitet die Organisation stets am finanziellen Limit. Mehrere Appelle an die internationale Gemeinschaft verhallten nahezu ungehört.
Jordaniens Regierung befürchtet aber auch, gleich in zwei Konflikte hineingezogen zu werden: Den Krieg in Syrien und den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Denn im Laufe der vergangenen Jahre haben auch Zehntausende Palästinenser, die während der Kriege 1948 und 1967 nach Syrien geflohen waren, in Jordanien Schutz gesucht. So besteht die Bevölkerung Jordaniens bereits zwischen der Hälfte und zwei Dritteln aus palästinensischen Flüchtlingen.
In den 70er Jahren hatte dies immer wieder für gewaltsame Konflikte gesorgt, als die palästinensische Befreiungsorganisation PLO in den Flüchtlingslagern in Jordanien eine Art »Staat im Staat« aufbaute: Die politisch sehr diversen Palästinenser können mit der jordanischen Monarchie, die ihren Herrschaftsanspruch durch ihre direkte Verwandtschaft mit dem Propheten legitimiert, wenig anfangen. In den vergangenen Monaten war zu beobachten, wie vor allem die Hamas offen versucht, palästinensische Flüchtlinge aus Syrien für ihre Zwecke anzuwerben.
Die Regierung hat darauf damit reagiert, dass sie an der Grenze zwischen Syrern und Palästinensern unterscheidet; vielfach seien Palästinenser abgewiesen worden, heißt es beim UNHCR. Wer in Jordanien aufgegriffen wird, werde in geschlossenen Lagern untergebracht.
Ein Schicksal, dass auch den Tagelöhnern an der Ausfallstraße in Amman droht: Sie wurden festgenommen. Einheimische Passanten nickten zustimmend. Man solle die Leute einfach nach Syrien abschieben, sagten mehrere: »Sie können doch in die Türkei oder nach Europa.«
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