Neonazis marschieren durch das alternative Leipzig
Drei rechtsradikale Gruppen wollen am Samstag durch den linken Stadtteil Connewitz ziehen / Stadt warnt vor gewalttätigen Ausschreitungen und erlässt hohe Protestauflagen / Linke Gruppen mobilisieren zu Gegenprotesten
Christian Worch weiß genau, was er mit diesem Aufmarsch im Süden Leipzigs bezweckt: die reine Provokation. Schon zwischen 2001 und 2007 veranstalteten Neonazis mehr als 15 Demonstrationen im »symbolträchtigen Connewitz«, wie es der ehemalige NPD-Funktionär Worch einmal selbst ausdrückte.
Leipzig-Connewitz, das ist ein seit den 90er Jahren alternativ geprägter Stadtteil, der durch Gentrifizierung zwar inzwischen viel von seiner einstigen Anziehungskraft verloren hat, aber noch immer als ein Zentrum der linksradikalen Szene gilt. Worch weiß um die Bedeutung dieses Ortes für die Linke, weshalb er zunächst daran mitarbeitete, dass am Samstag gleich drei rechtsradikale Aufmärsche durch Leipzigs Süden marschieren sollten. Die Kleinstpartei »Die Rechte«, deren Vorsitzender Worch ist und und die auch andere ehemalige NPD-Mitglieder versammelt, die fremdenfeindliche »Offensive für Deutschland« (OfD) und der Pegida-Ableger »Thügida«, angeführt vom Greizer NPD-Mann David Köckert, riefen zunächst gemeinsam zu einem Sternmarsch auf.
Mit ihrem Aufmarsch wollen die Nazis ein früheres Konzept wieder aufleben lassen, das einst wesentlich von Worch vorangetrieben wurde. Statt ihre Veranstaltungen vor allem in Regionen abzuhalten, wo Nazis kaum auf gesellschaftliche Gegenwehr stoßen, wollen sie nun in vermeintlich »linken Städten« provozieren und so Stärke zeigen. Leipzig scheint da nicht zuletzt als Universitätsstadt der ideale Schauplatz zu sein. Wohl auch zum Zwecke der Mobilisierung in den eigenen Reihen versuchen die Nazis bereits vorher, in Connewitz zu provozieren. So veröffentlichte die »Offensive für Deutschland« eine Bilderstrecke, die einige ihrer Mitglieder in Connewitz zeigt. Die Botschaft ist klar: Wir erheben auch hier unseren Machtanspruch.
Ähnlich großspurig gibt sich Thügida-Mitorganisator Köckert in einem Video, das für die Aufmärsche am Samstag wirbt. »Wir haben der linken Mischpoke […] gezeigt, dass sie hier nicht den Takt schlagen, sondern wir geben an wo demonstriert wird, wir geben an, wann demonstriert wird«, so Köckert in dem Aufruf.
Beim Ordnungsamt der Stadt Leipzig sieht man die Angelegenheit allerdings anders. Wegen des befürchteten rechten Gewaltpotenzials erließ die Behörde umfangreiche Beschränkungen und legte die angemeldeten Demonstrationen zu einem Marsch zusammen. Ob die Nazis juristisch dagegen vorgehen wollen, war zunächst unklar. Zudem wurde die Verwendung von Parolen wie »Nie wieder Krieg nach unserem Sieg« und »Alles für Deutschland« untersagt, da dadurch klare positive Bezüge zum Nationalsozialismus hergestellt würden.
Die LINKE geht davon aus, dass die Teilnehmer der rechten Aufmärsche nicht nur aus Leipzig anreisen werden. »Waren die Märsche der ›Offensive für Deutschland‹ - mit Unterstützung von Akteuren der Partei Die Rechte - in Leipzig bisher ein unübersehbarer Reinfall, kann davon ausgegangen werden, dass ein ›Einmarsch‹ ins links-alternativ geprägte Connewitz Nazis von außerhalb anziehen wird«, heißt es warnend in einem Aufruf zu Gegenprotesten.
Ähnlich äußern sich verschiedene Kulturinitiativen in Leipzigs Süden, etwa das Soziokulturzentrum Werk II: »Sinn und Zweck ist einzig die Provokation eines Stadtteils, welcher seit vielen Jahren mit Toleranz und Weltoffenheit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit entgegentritt.«
Diese Werte will der Stadtteil am Samstag verteidigen. Zahlreiche Gruppen und Institutionen im Süden Leipzigs rufen zu Gegenprotesten auf. Bereits am Freitagabend sollte einer Gegendemo stattfinden, für Samstag haben verschiedene linke Gruppen, Institutionen und Kulturhäuser aus dem Leipziger Süden sowie das seit Monaten gegen Legida aktive Aktionsnetzwerk »Leipzig nimmt Platz« insgesamt acht Veranstaltungen angemeldet. Unter anderem kündigt die Satirepartei »Die Partei« an, durch »ganz Connewitz« zu demonstrieren. Zudem wurden im Stadtteil gefälschte Sperrmüll-Zettel verteilt, in denen die Bewohner aufgefordert werden, am Samstag Sofas, Schränke und Co. für ein »weltoffenes, buntes Leipzig« auf die Straße zu stellen. Die Stadtverwaltung jedenfalls hat eine solche Sammlung nicht geplant und weist darauf hin, dass die Zettel nicht aus dem Neuen Rathaus stammen.
Einige Gegenaufrufe kündigen auch handfestere Reaktionen an. An Hauswänden im Stadtteil heißt es seit Wochen »12.12. - Nazis jagen«. Am Mittwochabend suchten Unbekannte einen Leipziger NPD-Funktionär in seinem Ladengeschäft auf und schlugen ihn auf den Kopf. In einem Bekennerschreiben, das wenig später auf einer linken Internetseite auftauchte, wird ein Zusammenhang mit dem für das Wochenende geplanten Naziaufmarsch hergestellt. Die NPD sprach von einem »Mordanschlag« und setzte ein »Kopfgeld« von 500 Euro auf den oder die Täter aus.
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