König: Dann habe ich richtig auf die Fresse bekommen
Kritik an Polizeigewalt gegen Jenaer Jugendpfarrer / LINKE kritisiert Ausschreitungen bei Anti-Naziprotesten in Leipzig / Juliane Nagel: Polizei hat friedlichen Protest in Sicht- und Hörweite verhindert / Grüne: Ereignisse im Landtag aufarbeiten
«Dass es eine aufgeheizte Atmosphäre geben würde, war uns schon klar», erzählt der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König am Abend nach dem Naziaufmarsch in Leipzig. Gegenüber dem Mitteldeutschen Rundfunk berichtete der bundesweit bekannte Antifaschist in einem Interview, wie er das Vorgehen der Polizei und seine vorübergehende Verhaftung bewertet.
Wie König berichtete, hab er seine Aufgabe darin gesehen, mit seinem inzwischen legendären Lautsprecherwagen zur Deeskalation beizutragen. «Das haben wir am Anfang auch gemacht», so König. Doch dann wurde der «Lauti» von der Polizei in einer Sackgasse festgesetzt. Als König bei einem Polizisten nach den Gründen fragte, habe dieser sofort die Autoschlüssel gefordert. Als der Pfarrer die Herausgabe verweigerte, habe der Polizist ihm durch das geöffnete Seitenfenster einen Faustschlag verpasst. «Dann habe ich richtig voll in die Fresse bekommen», schilderte König den Vorfall.
Die Polizei warf ihm vor, zu schwerem Landfriedensbruch beigetragen zu haben. Gründe für diese Behauptung habe ihm keiner der Polizisten nennen können, so König. «Diese Anschuldigung macht mir schon ein bisschen Sorge», erklärte der Pfarrer gegenüber dem MDR.
Dem evangelischen Pfarrer war schon einmalim Februar 2011 von den sächsischen Behörden vorgeworfen worden, bei einer Anti-Nazi-Demonstration in Dresden Demonstranten aufgewiegelt zu haben – die damalige Beschlagnahmung des Busses war ebenso umstritten wie die Durchsuchung von Königs Jenaer Dienstwohnung im August 2011. Landesbischöfin Ilse Junkermann hatte das Vorgehen damals, bei dem sächsische Beamte ohne Wissen der Thüringer Behörden agierten, als «skandalös» kritisiert. Später hatten Anwälte von Manipulation von Beweismitteln durch die Polizei sowie von Falschaussagen von Polizeibeamten in einem Strafverfahren gegen König gesprochen.
Der Pfarrer wurde seinerzeit wegen schwerem Landfriedensbruch angeklagt, das Verfahren Jahre später gegen Zahlung von 3.000 Euro eingestellt. Der Lautsprecherwagen, den die Polizei auch damals beschlagnahmt hatte, wurde erst Anfang dieses Jahres wieder zurückgegeben.
«Die wussten schon sehr genau, wen sie da vor sich haben», sagte König über den Vorfall am Samstag. Einen Zufall halte er für ausgeschlossen. «Bei solch schweren Behauptungen bist du erst einmal drei, vier Stunden weg vom Fenster.» Durch die massive Behinderung durch die Polizei sah sich der Jenaer Jugendpfarrer in seinem Engagement massiv behindert.
Die sächsische LINKE fordert unterdessen Aufklärung über das Vorgehen der Polizei gegen König. «Der muss wohl ein Déjà-vu haben», kommentierte LINKEN-Landeschef Rico Gebhardt den wiederholten polizeilichen Übergriff. Insbesondere der Faustschlag eines Beamten müsse aufgeklärt werden, forderte Gebhardt.
Unterdessen geht die Aufarbeitung des gestrigen Samstags weiter. An der angekündigten Nazi-Großdemonstration durch die Leipziger Südvorstadt nahmen am Ende lediglich 150 Rechtsradikale teil. «Die Zahl der teilnehmenden Neonazis war lächerlich. Nicht mal ein Christian Worch vermag dem Bündnis der Splittergruppen zu nennenswerter Stärke zu verhelfen», bemerkete die Leipzig LINKEN-Abgeordnete Juliane Nagel. Worch, früherer NPD-Funktionär und heutiger Vorsitzender der Kleinstpartei Die Rechte«, hatte als führender Neonazi den Aufmarsch mitorganisiert.
Trotz der geringen Mobiliserung mahnte Nagel jedoch: »Nichtsdestotrotz waren unter den teilnehmenden Nazis zahlreiche gewaltbereite ProtagonistInnen, die ihren Hass gegen MigrantInnen und Linke unverhohlen artikulierten.«
Klare Worte fand die LINKEN-Abgeordnete allerdings auch zu den gewaltsame Aktionen seitens einger Gegendemonstranten. »Hier haben einige scheinbar eine Art Ersatzbeschäftigung für den verhinderten Protest gegen den Naziaufmarsch gesucht. Das finde ich kontraproduktiv, zumal die Nazis genau diese Eskalationen mit ihren Anmeldungen erreichen wollten«, kritisierte Nagel. Sowohl der LINKEN-Stadtverband als auch die sächsische Linkspartei distanzierten sich von der Gewalt.
Allerdings dürfe auch die an »vielen Stellen unverhältnismäßige Gewalt« der Polizei nicht verschwiegen werden. Nagel sprach in diesem Zusammenhang davon, wie auch friedliche Demonstranten von der Polizei gekesselt, mit Tränengas und körperlicher Gewalt attackiert wurden.
Auch die Grünen im sächsischen Landtag kritisierten die Ausschreitungen und zugleich das Vorgehen der Polizei. Die Eskalation in Leipzig müsse nun umfassend parlamentarisch aufgearbeitet werden, forderte der Grünen-Landtagsabgeordnete Valentin Lippmann.
Wie die Polizei am späten Samstagabend in ihrer Bilanz schilderte, gab es 23 vorrübergehende Festnahmen sowie 69 im Einsatz verletzte Beamten. Eine konkrete Zahl der verletzten Gegendemonstranten nannte die Leipziger Polizei nicht, sondern sprach lediglich von »mehreren verletzten Protestteilnehmern«.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.