Im Mikrokosmos der Geistesarbeit

Wo soll bloß das Ausschnittarchiv gelagert werden? Johannes Jacobus Voskuils Romanreihe »Das Büro«

Liebe, Eifersucht und Hass - mit solchen Banalitäten beschäftigen sich mehr oder weniger Schöne und Reiche in nicht enden wollenden Vorabendserien. In Johannes Jacobus Voskuils leider nach gut 5000 Seiten endender Romanreihe »Das Büro« verhandeln mehr oder weniger Intellektuelle die wesentlichen Dinge des Lebens: Karteikästen, Briefumschläge und Zeitschriftenmappen.

Wunderbar unterhaltsam und nach Informationen aus erster Hand beschreibt der Autor die Banalität des Alltags von wissenschaftlichen Beamten, die mit der niederländischen Volkskultur befasst sind. Voskuil (1926-2008) arbeitete selbst 30 Jahre am Amsterdamer »Meertens Instituut« für Volkskunde; sein Ende der neunziger Jahre verfasstes Hauptwerk gilt als Schlüsselroman. Wie im echten Leben nehmen im Hamsterrad der täglichen Lohnarbeit Fragen unendlich viel Platz ein wie jene, wessen Mitarbeiter an der Kommissionssitzung teilnehmen dürfen oder wo das Ausschnittarchiv künftig gelagert werden soll.

Mit unzähligen kleinen Beschreibungen und Dialogen in ungekünstelter, klarer Sprache erfährt man dennoch das Wesentliche von den Figuren: ihre Eigenarten, Ticks und Unzulänglichkeiten. So etwa wenn sich ein nicht sehr produktiver Mitarbeiter bei Maarten Koning, dem Abteilungsleiter, beschwert: »Ich würde mir wünschen, dass man sich meine Aufsätze so kritisch ansehen würde«, sagte er gekränkt. »Welche Aufsätze meinst du?« »Vielleicht hätte ich dann nicht solche Angst, sie zu schreiben.«

Vor allem die Zurichtung des Menschen durch die Lohnarbeit ist, offensichtlich oder unterschwellig, immer Thema. Maarten Koning, ein kritischer Geist, für den der Job im Institut einst eine nicht auf Dauer angelegte Notlösung war, hat im vierten Band längst den jüngeren Kollegen gegenüber die Rolle seines früheren Chefs eingenommen und ist sich dessen bewusst, wenn er »mit boshaftem Lächeln« sagt: »Wissenschaftliche Beamte sind immer im Dienst.« Jene Spezies, der er früher »aus der Distanz folgen« konnte, wie er in seinem Tagebuch notiert, »ist aus dem Blickfeld verschwunden. Ich bin es selbst, dieser Beamte im höheren Dienst, überzeugt davon, recht zu haben, grollend, voller Selbstmitleid darüber, was mir meine Untergebenen antun, und das, obwohl ich mich zu Tode schufte und nur das Beste mit ihnen vorhabe.«

Es ist speziell die für Menschen jenseits solcher Mikrokosmen unbegreifliche bis nutzlose Geistesarbeit - in einer Zeit vor Drittmittelmanagement und Exzellenzclustern -, über die Voskuil sich mit viel Selbstironie lustig macht. Untersuchungen wollen vorangetrieben, Symposien abgehalten, Zeitschriften gegründet, Rezensionen verfasst und viele, viele Sitzungen abgesessen werden, was den Protagonisten zur Verzweiflung bringt: »Es sind eher die erzwungenen sozialen Kontakte«, sagte Maarten. »Ich kann das nicht ertragen.« Wiederholt bedauert er, nicht Bauer geworden zu sein - wohl wissend, dass er dafür gewiss nicht der Richtige gewesen wäre. Was den Sinn seiner Arbeit betrifft, rutscht ihm bei einem Vortrag heraus: »Denn letztendlich streben wir schließlich mit unseren Forschungen dasselbe Ziel an: das Nähren der Illusion, dass wir, indem wir Ordnung in dem Chaos schaffen, das wir Kultur nennen, Einsicht in unsere eigene Situation gewinnen.«

»Das Büro« erlangte bei seinem Erscheinen Ende der neunziger Jahre in den Niederlanden Kultstatus und wurde fast eine halbe Million Mal verkauft. Der Berliner Verbrecher Verlag gibt die Reihe erstmals vollständig auf Deutsch heraus. Soeben ist der vierte Band erschienen.

J. J. Voskuil, Das Büro 4: Das A. P. Beerta-Institut. Aus dem Niederländischen von Gerd Busse. Verbrecher Verlag. 1070 S., geb., 32 €.

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