Nazis, Krawalle und Polizeigewalt

In Leipzig lieferten sich Linksradikale und die Ordnungsmacht nach einer rechten Demonstration Straßenschlachten

  • Jennifer Stange, Leipzig
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Nazis konnten weitgehend unbehelligt durch die Leipziger Südvorstadt laufen. Die Proteste der Gegnern eskalierten jedoch.

Der Mythos Connewitz lebt - im guten wie im schlechten. Das stand schon am späten Samstagnachmittag fest. Monatelang hatten der Legida-Ableger »Offensive für Deutschland« und die Partei »Die Rechte« zum Sternmarsch auf das linke Viertel in Leipzig gerufen. Bereits am Freitag war klar, dass die Nazis dort nicht ankommen würden. Drei angemeldete Demonstrationen wurden von der Ordnungsbehörden zusammengelegt und auf eine rund 600 Meter lange Route in der benachbarten Südvorstadt verlegt.

Etwa 150 Nazis liefen dann ab 14 Uhr einen rechten Winkel und kehrten zwei Stunden später auf derselben Route zum Ausgangspunkt zurück. Die Redner von »Die Rechte« versuchten ihren Anhängern diesen Tag trotzdem als Erfolg zu verkaufen: »Seit heute ist Connewitz national!«, schrie einer heiser ins Mikrofon. Unwissenheit oder Marketinggag? Denn näher als einen knappen Kilometer kamen sie gar nicht an den Stadtteil heran.

Die Polizei sprach in ihrer abschließenden Pressemitteilung von »Rechtspopulisten« - und unterschlug damit die eindeutig nationalsozialistischen Inhalte und die massiven Gewaltandrohungen, die im Vorfeld aus dem Umfeld der mobilisierenden Gruppen gekommen waren. Ebenfalls kein Thema in der Mitteilung waren die massive Hetze gegen und Übergriffe auf Migranten und ihre Unterkünfte oder der alltägliche Terror, der etwa von der »Brigade Bitterfeld« gegen Andersdenkende ausgeht. Mitglieder letzterer Gruppierung waren am Samstag ebenfalls durch Leipzig gelaufen.

Bereits im Vorfeld der Demonstration kam es zu Straftaten: Unbekannte hatten in der Nacht zu Samstage ein Abgeordnetenbüro der Linkspartei angegriffen. Mit Pflastersteinen seien Fensterscheiben eingeworfen worden, teilte die Polizei am Samstag mit. Zu dem Vorfall kam es im Stadtteil Alt-Lindenau. Ob es einen Zusammenhang zu den Demonstrationen gibt, werde laut Polizei geprüft.

Im Umfeld der Route, entlang der Karl-Liebknecht-Straße, die vom Zentrum durch die Südvorstadt nach Connewitz führt, entlud sich ab Samstagmittag die angestaute Wut derjenigen, die sich nach mehr als 30 rechten Aufmärschen in der Messestadt nicht mehr sicher fühlen. Geschätzt waren bis zu 5000 Menschen auf den Beinen, damit die Nazis keinen Meter weiterkamen. Die Demonstration konnten sie aber nicht verhindern: Die kurze Route war mit Polizeigittern und Polizeifahrzeugen in zwei Zirkeln abgeriegelt. Jenseits dessen brannten Barrikaden, Mülltonnen wurden auf die Straße gezerrt, Haltestellen entglast. Die Demonstranten versuchten, die Polizeiketten zu durchbrechen und warfen Steine auf die Ordnungsmacht. Deren Antwort fiel ebenso unerbittlich aus: Schlagstockhiebe, Tränengas, Wasserwerfer, Gasgeschosse, Jagd auf fliehende Menschen.

Ein früher Höhepunkt des Protests: Jugendpfarrer Lothar König wurde vorübergehend in Gewahrsam genommen, nach eigenen Angaben geschlagen, sein Lautsprecherwagen beschlagnahmt. Ereignisse, die an Dresden im Jahr 2011 erinnern. Damals wurde ihm vorgeworfen, zu Gewalt aufgerufen zu haben. Das Verfahren wurde Jahre später gegen eine Geldzahlung eingestellt. Die Festnahme Königs verdeutlicht exemplarisch, dass es der sächsischen Polizei an diesem Tag nicht gelang zu deseskalieren, sondern dass sie selbst immer wieder zur Entgrenzung der Gewalt beigetragen hat. König ist nicht der einzige, der, wie er dem MDR sagte, »auf die Fresse« bekommen hat.

Ein Video zeigt, wie ein junger Mann bewusstlos in einer Blutlache liegend die Hände auf dem Rücken zusammen gebunden bekommt. Augenzeugen berichten, dass die Polizei Sanitäter zuerst nicht zu dem Verletzten ließen. Menschen, die zufällig einem Polizeitrupp im Weg standen, wurden umgeschubst und geboxt, wenn sie sich beschwerten. Die Polizei spricht von 23 Gewahrsamnahmen, 69 verletzten Beamten und einer unbekannten Anzahl verletzter Demonstranten. Die Staatsanwaltschaft Leipzig hat mehrere Verfahren wegen schweren Landfriedensbruchs eingeleitet.

Szenen beidseitiger Feindschaft konnte man in der gesamten Südvorstadt beobachten. Sie wurde in den vergangenen Monaten genährt durch Sympathiebekundungen sächsischer Polizisten gegenüber Pegida, durch Berichte über Polizisten, die gegen Flüchtlingsunterkünften demonstrierten, durch einen Beamten der Bereitschaftspolizei Leipzig, dessen Kontaktdaten im Handy einer Leipziger Nazigröße gefunden wurden, durch eine lange Liste von Überfällen auf Asylbewerberunterkünfte, Kürzlich wurde bekannt, dass Ex-Pegida-Frontfrau Kathrin Oertel mit einem Mitarbeiter des Landeskriminalamtes verheiratet ist.

Das Urteil über die Geschehnisse vom Samstag ist in den sozialen Netzwerken geteilt. Mit Gewalt würden sich Nazigegner keinen Gefallen tun, sagen die einen. »Heult doch! Antifaschismus bleibt Handarbeit«, sagen die anderen. Die einzigen, die heil davongekommen sind, sind die Nazis: Laut Polizei waren sie Samstagmittag ohne Zwischenfälle abgezogen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.