»Wir, das Volk« in Warschau

Spontane Massenkundgebung gegen die Entmachtung des Verfassungstribunals

  • Julian Bartosz,Wrocław
  • Lesedauer: 2 Min.
In Warschau haben am Samstag Zehntausende Menschen gegen eine »Schleifung der Demokratie« durch die neue polnische Regierung der Partei für Recht und Gerechtigkeit demonstriert.

Zum ersten Mal nach der Wende vor 26 Jahren ist in Polen eine Bürgerbewegung zur Verteidigung des demokratischen Rechtsstaates erwacht. Zu erleben war das am Samstag in Warschau bei einer Kundgebung vor dem Sitz des Verfassungstribunals in der Nähe des Rozdroże-Platzes. »Hier ist Polen«, riefen Demonstranten. »Wir, das Volk«, so eine andere Parole, »stehen an der Seite der Verfassungsrichter.«

Nachdem Jarosław Kaczyński, Vorsitzender der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), seine Marionetten - Staatspräsident Andrzej Duda und Ministerpräsidentin Beata Szydło - sowie alle dem Staat unterstellten Dienste und Institutionen für die PiS zusammengeharkt hat, versucht er jetzt, sich auch die Dritte Macht, die Gerichtsbarkeit, konkret das Verfassungstribunal, unterzuordnen. Das Tribunal selbst hat ein Gesetz, das zu seiner Unterordnung führen sollte, für »teilweise« verfassungswidrig erklärt. Von Duda wurde dies missachtet und für ungültig erklärt. Die Regierung blockierte sogar die Veröffentlichung des Richterspruchs.

Ein »Komitee zur Verteidigung der Demokratie«, ein vor drei Wochen noch unbekanntes Bürgergremium, rief über das Internet die Gegner einer sich festigenden »Demokratur« zum Protest auf. Über 50 000 Menschen versammelten sich darauf zu einer Kundgebung und zogen dann vor den Sejm und zum Sitz des Staatsoberhaupts in der Krakowskie Przedmiescie. Die weiß-rote Fahne schwingend stimmten sie dort die Nationalhymne an. Da der Zugang zum Palast von der Polizei abgeriegelt wurde und immer mehr Menschen, meistens im mittleren Alter, dazu kamen, dauerte die Demonstration mehrere Stunden. Vor dem Präsidentensitz skandierten sie »Schmach, Schmach für Duda« was die in der Menge postierten Polizisten mit ihren Kameras aufnahmen.

Weder die Gewerkschaft »Solidarność« noch das Demokratische Linksbündnis (SLD) waren am Aufruf zu der Demonstration beteiligt. Das SLD beschloss gerade einen »Konvent« zur Kür eines neuen Vorsitzenden am 23. Januar. So lange also wird Leszek Miller noch »führen«. Die Solidarność ließ verlauten, dass sie die Gegenkundgebung von PiS unterstützen werde.

Der Verfassungsstreit wandelt sich zur akuten Krise des demokratischen Staates. Die Frage ist: Wie ausdauernd ist der Protest der außerparlamentarischen Opposition?

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -