Konstanzer Maultasche für Tarifflüchtige

Negativpreis ging unter anderem an »Südkurier«

  • Holger Reile, Konstanz
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit 2009 verleiht ein Komitee engagierter BürgerInnen und GewerkschafterInnen den Konstanzer Maultaschenpreis. Anlass war damals die fristlose Kündigung einer Altenpflegerin durch die Spitalstiftung Konstanz. Die langjährige Angestellte hatte einige Maultaschen mitgenommen, die ohnehin in den Abfall gewandert wären. Der Fall sorgte bundesweit für Schlagzeilen. Seitdem wird der Maultaschenpreis in unregelmäßigen Abständen für »besonders beschäftigtenfeindliches Unternehmerverhalten« vergeben. Preisträger in diesem Jahr: der Dosen- und Tubenhersteller Nussbaum in Rielasingen, die Konstanzer Heimatzeitung »Südkurier« und die renommierten Kliniken Schmieder in Allensbach.

»So etwas haben wir bisher noch nicht erlebt«, sagte Raoul Ulbrich, zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Singen auf einer Pressekonferenz letzte Woche, bei der die Maultaschen-Preisträger für 2015 vorgestellt wurden. Thorsten Schlicht, der zuständige Betriebsbetreuer bei der IG Metall Singen, berichtete: Im Herbst 2014 habe ihm der Nussbaum-Geschäftsführer mitgeteilt, dass das Unternehmen die Tarifbindung bis Ende 2015 aufgeben wolle. Das Ziel: Radikale Absenkung der Lohnstufen weit unter das Minimum dessen, was im Tarifsystem der Metallindustrie vorgesehen ist. Es folgten lange Verhandlungen, jedoch ohne Erfolg. Im Gegenteil, Nussbaum verschärfte die Gangart und kündigte Produktionsverlagerungen an, wenn nicht 85 Prozent der Beschäftigten einen Einzeltarif akzeptieren würden.

»Die Beschäftigten sind massiv unter Druck geraten«, sagt Schlicht. »Sie wurden mitunter mehrmals am Tag angerufen und aufgefordert, den Einzelvertrag und eine Anhebung der Arbeitszeit von 35 auf 40 Wochenstunden zu akzeptieren.« Die Firmenleitung setzte sich durch und schaffte es damit, einen tiefen Keil in die Belegschaft zu treiben. Mittlerweile steht der Betriebsrat im Fadenkreuz des Unternehmens. Derzeit kursiert eine Unterschriftenliste, die den Rat zum Rücktritt auffordert. Von den insgesamt 115 Beschäftigten bei Nussbaum sollen bereits 70 unterschrieben haben. »Dieses brutale Vorgehen«, sagt Ulbrich, »gefährdet letztlich den Standort«.

Der zweite Preis ging an den »Südkurier«, der die Auszeichnung, für seine Gesamtleistung erhalten habe, sagt ver.di-Sekretär Markus Klemt. Will heißen: Flucht aus der Tarifbindung mit den üblichen Folgen - Arbeitszeiterhöhung um fünf Wochenstunden, Lohnerhöhungen nach Gutdünken, »Tricksereien« bei der Vergütung für ZeitungszustellerInnen, Zusammenarbeit mit einer Leiharbeitsfirma ohne Zulassung, dazu schlechte Honorierung der freien MitarbeiterInnen. »Der ›Südkurier‹«, erklärt Klemt, »hält sich nicht an die gemeinsame Honorarempfehlung des Journalistenverbands und ver.di.« Zur Pressekonferenz hatte der »Südkurier« eine freie Mitarbeiterin geschickt, die auch fleißig mitschrieb. Berichtet über die Preisverleihung wurde bis heute nicht.

Der dritte Preis ging an die bundesweit bekannten Schmieder Kliniken mit Hauptsitz in Allensbach. Einem Betriebsratsmitglied wurde im Mai 2014 gekündigt, weil er außerhalb des Klinikareals ein Gewerkschaftsplakat aufgehängt hatte, das für eine bessere personelle Ausstattung im Gesundheitswesen warb. Die Geschäftsleitung begründete die Entlassung damit, dass der Betreffende damals krankgeschrieben gewesen sei und seine Erkrankung offensichtlich vorgetäuscht habe. Ein ärztliches Attest spricht allerdings gegen diese Annahme.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.