Militante Nationalisten unter Waffen
Besuch beim ukrainischen Rechten Sektor in der Ostukraine
Zwei Tonnen Stahl, angeblich aus der Schweiz - so viel wiegt der als Schutzschild gedachte Aufsatz Marke Eigenbau seines Nissan Patrol, mit dem er im regierungskontrollierten Teil der Ostukraine mühsam auf den mit vielen Schlaglöchern übersäten Straßen unterwegs ist. Heute fährt der 35-jährige freiwillige Kämpfer mit dem Kampfnamen »Mirnij« nach Vodyane. Ein Dorf, nur drei Kilometer entfernt von dem von prorussischen Separatisten kontrollierten Flughafen Donezk. Dessen Umgebung ist nach wie vor Schauplatz von Feuerwechseln zwischen den beiden Kriegsparteien.
Ein Checkpoint auf der Hauptstraße ist passiert. Dann tuckert das Ungetüm weiter, einen Feldweg entlang. In einer Senke vor dem Dorfeingang nochmals ein Checkpoint der ukrainischen Armee. »Mirnij« steigt aus. Er ist Mitglied des bewaffneten Teils des nationalistisch-ukrainisch gesinnten »Pravy Sektor«, des Rechten Sektors. Kurze Wortwechsel mit den Soldaten. Dann darf »Mirnij« weiterfahren. Das Passwort des Tages ist der Schlüssel, um an die Front zu kommen.
»Mirnji« stammt aus der Hooliganszene. Er ist ausgebildeter Musiklehrer, arbeitet im IT-Bereich und spricht leidlich Englisch. Getreu der Linie des Pravy Sektor sieht er neben den prorussischen Separatisten einen zweiten Feind im Inland - in Kiew. Die korrupten Leute an der Macht in der Ukraine seien keine Nationalisten. »Die wollen doch gar nicht den Krieg gewinnen, sondern ihre Geschäfte machen und ihre Ruhe haben.« Er werde die Ukraine verteidigen, sagt »Mirnij«. »Ohne Ideale kein Sieg.«
Die auf wenige Hundert Kämpfer geschätzten Einheiten des Rechten Sektors gehören zur Speerspitze der ukrainischen Seite. Denn sie waren es vor allem, die im Sommer 2014, als die ukrainische Armee kaum kampffähig war, einen Vorstoß der prorussischen Gegner im Gebiet Dnipropetrovsk verhinderten. Spätestens seit damals werden sie von der russischen Propaganda als der Inbegriff des Bösen gebrandmarkt und des Faschismus bezichtigt. Noch heute übernehmen sie als hoch motivierte und kampferprobte Freiwillige wichtige Aufgaben wie Aufklärungsmissionen an der Front.
Doch die Zukunft als eigenständiges Bataillon ist gefährdet: Der Rechte Sektor soll, geht es nach den Plänen Kiews, wie die anderen bereits integrierten Freiwilligenbataillone Asov, Donbass und Aidar in die staatlichen Sicherheitskräfte eingefügt werden. Denn es ist nicht im Interesse der Ukraine, wenn autarke bewaffnete Einheiten auf eigenem Territorium unkontrolliert ihr eigenes Süppchen kochen und deshalb früher oder später die innere Sicherheit gefährden könnten.
Sergey Golushko, stellvertretender Leiter der Informationsabteilung des ukrainischen Verteidigungsministeriums, erklärt zur möglichen Zukunft der Kämpfer des Pravy Sektor: »Derzeit wird die Entscheidung für einen Übergang in die Anti-Terror-Einheit der Sicherheitsdienste der Ukraine vorbereitet.« Golushko spricht mit Respekt vom Pravy Sektor: »90 Prozent sind Freiwillige und verfügen über eine hohe Motivation. Darum kämpfen sie auch in der vordersten Linie.« Auch er meint, dass die Freiwilligenbataillone für Russlands Propaganda herhalten müssen.
Der Pravy Sektor ist im Gegensatz zu anderen nationalistischen Organisationen erst im Zuge der Maidan-Proteste gegen Ende 2013 als lose Gruppierungen entstanden. Einerseits stellt er eine politische Gruppierung dar, die nach eigenen Angaben etwa 10 000 Mitglieder hat. Eine der Positionen des Sektors ist nach eigenen Angaben beispielsweise, dass man eine unabhängige, starke ukrainische Nation aufbauen möchte - und sich nicht für den europäischen oder russischen Weg entscheiden will. Die in ihren Augen korrupte Elite an der Staatsspitze müsse weg, heißt es in Kreisen des Rechten Sektors.
Andererseits waren die Leute des Pravy Sektor auf dem Maidan in Kiew im März 2014 diejenigen, die die zivile Protestbewegung auch mit Waffengewalt gegen die Spezialeinheiten des Janukowitsch-Regimes verteidigten. Als der Krieg im Donbass ausbrach, strömten die Bewaffneten schließlich ostwärts.
Der in Kiew ansässige deutsche Politologe Andreas Umland charakterisiert den Rechten Sektor folgendermaßen: »Er ist stärker als ›normale‹ rechtsextreme Parteien ein Sammelbecken für verschiedene, hauptsächlich junge Männer und einige Frauen, welche aus unterschiedlichen Gründen innen- und außenpolitische Kompromisse ablehnen. Unter ihnen sind zweifelsohne homophobe Rassisten, radikale Ethnozentristen und bekennende Neonazis. Jedoch scheint zumindest ein Teil der Wähler und sogar Mitglieder des Rechten Sektors aus Personen zu bestehen, die ich als ›militante Patrioten‹ charakterisieren würde und die nicht notwendigerweise ein rechtsextremes Weltbild haben.«
Stolz verweisen die Leute des Rechten Sektors darauf, dass sie keinen Sold bekämen und auch nicht durch einen Oligarchen unterstützt werden. Vielmehr finanziere sich die Organisation durch Spenden aus der Bevölkerung, erklären sie. Dass der militante und bewaffnete Teil des Sektors bei der von Krimtataren initiierten Blockade der russisch besetzten Krim eine wichtige Rolle spiele, erachtet Politologe Umland als »in gewisser Hinsicht eine Unterwanderung des staatlichen Gewaltmonopols«.
Ein Besuch in der Basis des Pravy Sektor, etwa 30 Kilometer von Vodyane und der Front entfernt, landeinwärts. An der Peripherie einer Gemeinde südöstlich von Krasnoarmiisk befindet sich der Stützpunkt. Die Kämpfer haben sich in einer ehemaligen Arbeiterwohnstätte einquartiert. Auf einem Schild an der Straße wird vor Minen gewarnt, die Einfahrt ist streng bewacht. Auf dem Gelände weht die Flagge der Ukraine, aber auch das rot-schwarze Banner der nationalistischen Aufständischen aus den 40er- und 50er-Jahren, die gegen die Sowjetunion zu den Waffen gegriffen hatten.
Seit Tagen sehen sich die Kampfwilligen des Rechten Sektors in dieser Basis quasi zum Nichtstun verdammt. Sie werden nicht an die Front vorgelassen. Die Zeit bis zum nächsten Einsatz wird in der Basis jedoch nicht abgesessen. Einer der Uniformierten arbeitet an einem gepanzerten Fahrzeug. Eine Gruppe erstellt auf der Rückseite des Gebäudes bei einer der beiden Einfahrten einen Unterstand.
Man sieht gut, dass wenig Geld vorhanden ist: Jeder bringt seine Uniform selber mit. Es herrscht ein Wirrwarr von Camouflagejacken und -hosen, private Fahrzeuge werden genutzt. Im Hinterhof wird auf Feuer gekocht. Vor der Gebäudetür stapeln sich Munitionskisten. Im Gebäudeinnern ist es dreckig. In den Schlafzimmern des Hauses herrscht Unordnung. Bis auf eine junge Ukrainerin, die angibt, Drohnenpilotin zu sein, haust hier etwas mehr als ein Dutzend Männer im Alter zwischen 20 und 50 Jahren.
Im oberen Stock in einer dunklen Ecke sitzt Kommandant »Podolanin«. Leicht untersetzte Figur, eine stämmige Erscheinung. Kahlrasierter Schädel. Über seinen Schultern hängt ein Pistolengurt. »Podolanin« ist ein »harter Hund«. Er gehört zu denjenigen Freiwilligen, die letzten Winter an den Kämpfen um den Donezker Flughafen teilgenommen haben. Zum Kommandanten wurde er, wie es beim Rechten Sektor üblich ist: Die Leute seiner Einheit haben ihn gewählt.
Wie seine Kameraden hat »Podolanin« praktisch nur Verachtung für das Militär seines Heimatlandes übrig: »Ich plane momentan nicht, in die ukrainische Armee einzutreten. Die 20 Jahre Unabhängigkeit der Ukraine wurden nicht dazu genutzt, eine neue Armee aufzubauen, neue Offiziere auszubilden. Das System ist bürokratisch und veraltet. Sie können nicht Krieg führen. Die Armee ist sehr schwach. Schon bei wenig Druck der Angreifer rennen sie davon. Es gibt keine Ideologie und keinen Glauben.« Es würden Leute aufgenommen, die mobilisiert wurden und deshalb nichts hätten, wofür sie kämpfen wollten.
Die bewaffneten Einheiten des Rechten Sektor sind in erster Linie eine Ansammlung von kampfbereiten Nationalisten. Und auf der Basis bei Kransnoarmiisk sind nicht alle, die mitkämpfen, nur ukrainische Patrioten: Auch eine Handvoll Ausländer ist auf der Basis stationiert. Darunter befinden sich ein Amerikaner, zwei Österreicher und ein Ungar mit Schweizer Vergangenheit.
Unterschiedliche Motive hat sie hierher geführt. Der 23-Jährige Ungar, der in der Zentralschweiz aufgewachsen ist und den Kampfnamen »Wall« trägt, trat in Aubagne (Frankreich) in die Fremdenlegion ein. Er verließ sie aber nach einem halben Jahr wieder. »Die Legion ist nur noch ein Mythos«, so »Wall«. Nach einem Abstecher in die Schweiz zum Arbeiten gelangte er in die Ostukraine. Zuerst zum Azov-Bataillon. Weil aber dort kaum Fronteinsätze möglich gewesen seien, der Ausbildungsstand gering und er mit der nationalsozialistischen Gesinnung bei Asov nichts anfangen konnte, wechselte er zum Rechten Sektor. »Ich kämpfe nicht fürs Geld«, beteuert er. Vielmehr finde er hier militärisches Leben mit Ordnung und Organisation, Vertrauen, eine Art Familie. Gleichgesinnte eben.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.