Spaniens Plasma-Premier

Der konservative Mariano Rajoy hat nicht nur mit seiner Sparpolitik an Zuspruch verloren

  • Ralf Streck, San Sebastián
  • Lesedauer: 4 Min.
Sei vier Jahren regiert der Ziehsohn eines Franco-Ministers Spanien autokratisch, verweigert Debatten und sitzt Probleme aus.

Vorgänge wie am vergangenen Mittwoch im galicischen Pontevedra wollte der graubärtige spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy Brey stets vermeiden. In der Stadt, in der der 60-jährige aus Santiago de Compostela einst Abitur machte, 1983 zum Stadtrat gewählt und schon 1986 Präsident der Provinzregierung wurde, erhielt er von einem 17-Jährigen einen massiven Fausthieb ins Gesicht. Rajoys Brille war hin, er selbst geriet ins Straucheln. Der Vorfall symbolisierte die Lage des ultrakonservativen Politikers, Rajoy galt vor der Wahl als angeschlagen. Ein Grund dafür ist das Tatmotiv des Jugendlichen, dessen Eltern Rajoy sogar persönlich kennen: die Korruption in der regierenden Volkspartei (PP), die viele im krisengeschüttelten Spanien wütend macht.

Das Bad in der Menge hatten ihm seine Parteistrategen nach dem Wahldebakel im Mai verordnet, als die PP die Macht in fast allen Regionalparlamenten verlor. Dem gläubigen Katholiken wurde Volksnähe, um dem Image als »Plasma-Präsident« entgegenzuwirken. So wird Rajoy genannt, weil er stets distanziert und bürgerfern regierte. Trat er im Land überhaupt vor die Presse, geschah das lange nur per Bildschirm. Fragen durften nicht gestellt werden. Wichtiges verkündete Rajoy gern auf Auslandsreisen, wo er sich zudem ganz anders darstellte.

Auch im Wahlkampf ging er dem Disput aus dem Weg. Bei einer geplanten TV-Debatte mit seinen drei jungen Herausforderern hätte Rajoy vielleicht nicht nur physisch alt ausgesehen. Er schickte seine Sprecherin und Vize Soraya Saénz de Santamaría. Bei einer im Internet übertragenen Debatte der großen Tageszeitung »El País« blieb Rajoys Stuhl gänzlich frei, da die keine Ersatzfrau akzeptierte. Nur dem Duell mit dem sozialistischen Oppositionsführer Pedro Sánchez stellte sich der Premier.

Der ultrakonservative Rajoy will nicht wahrhaben, dass das Zweiparteiensystem angesichts neuer Parteien, wie der linken Podemos (Wir können es) und der rechten Ciudadanos (Bürger), nur noch ein Zombie ist. Dabei war es sogar im Bereich des Möglichen, dass die Sozialistische Partei (PSOE) auf dem dritten oder sogar vierten Rang landet, wie im September bei den Regionalwahlen in Katalonien. Infrage stand auch, ob PP und PSOE noch als große Koalition eine Mehrheit bekommen. 2011 erhielten beide zusammen noch 80 Prozent der Stimmen.

Der Niedergang der PP kann in Rajoys Heimat und einstiger Hochburg Galicien nachvollzogen werden. Im Nordwesten regierte die PP, vom Ex-Minister während der Franco-Diktatur Manuel Fraga Iribarne gegründet, Jahrzehnte lang mit absoluter Mehrheit. In Pontevedra wurde sie aber schon 1983 abgewählt. Als Rajoy in den Stadtrat kam, musste seine PP die Macht an den linken Galicischen Nationalistischen Block (BNG) abgeben. Seit Mai regiert in Rajoys Geburtsstadt gar eine von Podemos gestützte Bürgerkandidatur.

Der Altfaschist Fraga, der sich wie die PP nie vom Putsch gegen die Republik und von der blutigen Diktatur distanziert hat, schickte Rajoy schließlich nach Madrid. Dort sollte er den Ex-Falangisten José María Aznar kontrollieren, dem Fraga die Parteiführung 1990 übergeben hatte.

So wurde der studierte Jurist Rajoy 1989 Abgeordneter im Madrider Parlament. Der Vater zweier Kinder war zunächst enger Weggefährte Aznars. Als der 1996 die Wahlen gewann, da die PSOE tief in Skandalen um Korruption und Todesschwadronen gegen Basken steckte, wurde der einstige Liegenschaftsbeamte Minister für öffentliche Verwaltung, 1999 Bildungsminister und 2001 schließlich Innenminister.

Nach Aznars Abwahl 2004 ernannte der Rajoy zum Parteichef, obwohl sich die beiden längst überworfen hatten. Zwei Mal scheiterte Rajoy dann bei Wahlen an der PSOE. Erst in der Krise und mangels Alternative wurde er 2011 Regierungschef. Der Liebling von Bundeskanzlerin Angela Merkel verstieß praktisch gegen alle Wahlversprechen: Arbeitsrechte wurden geschleift, Einschnitte ins Bildungs- und Gesundheitssystem vorgenommen, Steuern für die breite Bevölkerung erhöht, aber für Unternehmen gesenkt. Und Banken gerettet, wie Bankia. Rajoy rettete lieber Banken, die sein Parteifreund Rodrigo Rato ruiniert hatte. Dafür musste Spanien unter den Rettungsschirm gehen.

Rajoy wird aber auch als Chef einer Partei in die Geschichte eingehen, die sich »mindestens 18 Jahre illegal finanziert hat«, gab sogar sein früherer Schatzmeister Luis Bárcenas zu. Den hatte Rajoy per SMS zum »Durchhalten« aufgefordert, als Millionenschmiergelder in der Schweiz aufflogen. »Luis, die Sache ist nicht einfach, aber wir tun, was wir können. Kopf hoch«, schrieb er ihm. Nach Bárcenas Buchführung soll Rajoy aus Schwarzgeldkassen die größte Gesamtsumme, unversteuert und in bar, erhalten haben.

Die Dialogverweigerung des Galiciers mit Katalonien hat den Konflikt so zuspitzen lassen, dass die Mehrheit der Menschen in der Region Spanien nun verlassen will. Rajoy war es auch, der die Chance im Baskenland zu einer Friedenslösung vertat, nachdem die Untergrundorganisation ETA vor vier Jahren die Waffen streckte. Der Premier weigerte sich sogar, an deren Entwaffnung teilzunehmen. Und er ließ »Knebelgesetze« verabschieden, bei denen sich Richtervereinigungen an die Franco-Diktatur erinnert fühlen. Die »New York Times« urteilte, dieses Gesetz »wirft Spanien in die dunklen Tage des Franco-Regimes zurück«. Vier Jahre Rajoy hinterlassen ein wahrlich schweres Erbe.

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