Kein Asylheim im Kietz der Parteifreunde

Zeitung berichtet über Machenschaften bei der Standortsuche - CDU weist Vorwurf der Klientel-Wirtschaft zurück

  • Lesedauer: 3 Min.
Dass Berlin sein Flüchtlingsproblem nicht in den Griff bekommt, ist ein Desaster. Doch der Skandal hat wohl eine unappetitliche Vorlaufgeschichte, die manchen Verantwortlichen dumm dastehen lässt.

Der Skandal um die katastrophalen Bedingungen für die Flüchtlinge am Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) und das Versagen der Politik wird immer mehr zu einem CDU-Fall: Wie die Zeitung »B.Z.« am Samstag berichtete, gibt es Hinweise darauf, dass hochrangige CDU-Politiker die Einrichtung neuer Flüchtlingsunterkünfte in ihren Wahlkreisen oder unter Hinweis auf private Interessen von Unionspolitikern verhindert haben. Besonders brisant: Auch der für die Unterbringung zuständige Sozialsenator Mario Czaja (CDU) soll daran mitgewirkt haben.

Czaja wies die Anschuldigungen zurück. Es sei damals um eine gleichmäßigere Verteilung von Flüchtlingsheimen gegangen, sagte der Senator der »Berliner Morgenpost« und dem »Tagesspiegel« am Sonntag. CDU-Landeschef und Innensenator Frank Henkel nannte die Vorwürfe absurd und stellte sich hinter Czaja.

LINKE-Landeschef Klaus Lederer reagierte empört auf den Bericht. Hier werde eine Politik nach dem Motto die »Stadt als Beute« sichtbar, ließ er wissen. Das Amtsverständnis der Koalition aus CDU und SPD funktioniere offenbar nach dem Hilfe-Prinzip: »Notleidenden? Nein. Parteifreunden? Ja!«. Und die Grünen-Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus, Ramona Popp, sagte im Kurznachrichtendienst Twitter, »der Verantwortliche heißt Mario Czaja, sein Rücktritt ist überfällig«.

Die »B.Z.« führte mehrere interne E-Mails aus dem Jahr 2013 auf, in denen Czaja unter anderem »deutlich« erklärt, dass in einer bestimmten Straße kein neues Flüchtlingsheim entstehen solle. Begründung: Der betreffende Bezirk habe sich bereits »überproportional an der Aufgabe beteiligt«. Die Zeitung verwies auf Behauptungen von Insidern, die erklärt haben sollen, dass dort »überhaupt keine Heime vor der Bundestagswahl« eröffnet werden sollten. Dies soll von Czaja auf Veranlassung eines CDU-Bundestagsabgeordneten geschehen sein, der dies aber dementierte. Das Blatt schrieb: »Tatsächlich brüstete der sich öffentlich damit, das Heim beim Senat verhindert zu haben.« Hinweise gebe es der »B.Z.« zufolge auch dafür, dass Flüchtlingsunterkünfte dort verhindert worden seien, wo private Interessen von Unionspolitikern betroffen sind. Auch Ex-LAGeSo-Chef Allert hatte bereits vor einigen Tagen in einem Interview erklärt: »Ein anderes Problem ist aber auch, dass einzelne Politiker und Bezirke jahrelang darauf geachtet haben, dass in ihrem Kiez oder Wahlkreis keine Flüchtlingsheime entstehen. Dazu wurden rechtliche Möglichkeiten des Baurechts so genutzt, dass die Heime verhindert wurden.«

Kritik an der Flüchtlingspolitik kommt auch vom Landesrechnungshof. Er wirft, wie der »Spiegel« in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, der Landesregierung rechtswidrige Praktiken bei der Flüchtlingsunterbringung vor. Das LAGeSo habe Gemeinschaftsunterkünfte vor Abschluss der Vertragsverhandlungen in Betrieb genommen. Sozialsenator Czaja habe das geduldet, schreibt das Nachrichtenmagazin unter Bezug auf ein vertrauliches Sondergutachten.

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) fordert von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu mehr Engagement für die Integration von Flüchtlingen. »Bisher betreibt die Bundesregierung Krisen-Management, verschläft aber die große Aufgabe der Integration«, so Müller in der »Welt am Sonntag«. »Konkret brauchen wir vom Bund gesteuerte und finanzierte Bildungsprogramme für Lehrer, Sprachmittler und Integrationslotsen.« Integration brauche bundesweite Standards. nd mit dpa

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