Die Welt ging nicht unter
Mindestlohn-Regelung besteht in Deutschland demnächst ein Jahr
Ein Jahr alt wird am 1. Januar der allgemeine gesetzliche Mindestlohn in Deutschland. 8,50 Euro beträgt er real, bei 10 Euro sollte er liegen, fordert unter anderen der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Bsirske. Doch schon eine Erhöhung auf neun Euro sei völlig illusorisch, kontert Ingo Kramer, der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Die Debatte hält an.
Bis Anfang 2017 wird sich nichts Grundlegendes tun - dann soll die paritätisch besetzte Mindestlohnkommission über eine etwaige »Weiterentwicklung« befinden. »Die Gruselgeschichten über die Folgen des Mindestlohns haben sich in Luft aufgelöst«, zieht Annelie Buntenbach, Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes, eine erste Jahresbilanz. Bei allen Regeln, die den Arbeitgeberverbänden nicht in den Kram passen, würden diese die Vernichtung von Arbeitsplätzen unterstellen. »Aber die Daten, Fakten und die Lebenswirklichkeit zeigen: Das stimmt nicht«, betonte die Gewerkschafterin gegenüber »nd«.
Längst gibt es Indizien, dass sich die Unternehmerseite mit der Lohnuntergrenze zu arrangieren beginnt. In seiner Rede zum diesjährigen Deutschen Arbeitgebertag bezeichnete BDA-Präsident Kramer den Mindestlohn zwar als falsch und sprach sich für weitere Ausnahmeregelungen aus. »Nun gibt es ihn aber, und deshalb bin ich der Letzte, der fordert, Flüchtlinge davon auszunehmen.« Sonst drohe ein Verdrängungswettbewerb zwischen deutschen und ausländischen Beschäftigten, »den wir«, so Kramer, »auf keinen Fall wollen«.
Im europäischen Vergleich wirkt der deutsche Mindestlohn nicht so schlecht. Zumindest auf den ersten Blick, denn natürlich gibt es erhebliche Kaufkraftunterschiede, so dass die Werte nicht eins zu eins verglichen werden können. Den 8,50 Euro in Deutschland stehen Mindestlöhne von einem bis 2,42 Euro in Ost- und drei bis vier Euro in Südeuropa gegenüber. Höher als in Deutschland sind die Mindestlöhne in Frankreich (9,61 Euro), den Niederlanden (9,21 Euro), Belgien (9,10 Euro) und Irland (8,65 Euro), während die skandinavischen Länder sowie Italien und Österreich keinen nationalen Mindestlohn kennen.
In Deutschland kommen branchenspezifische Mindestlöhne hinzu - davon profitieren die Beschäftigten in immerhin 20 Bereichen - von A wie Abfallwirtschaft bis Z wie Zeitarbeit. Dann jedenfalls, wenn der Mindestlohn nicht durch Werkverträge ausgehebelt wird. Selbst die Fleischindustrie, in der Subunternehmertum als normal gilt, weist derzeit formell einen Branchen-Mindestlohn auf, der immerhin 10 Cent pro Stunde über dem gesetzlichen liegt. Doch 8,60 Euro sind graue Theorie für die Rumänen und Bulgaren, die in 70-Stunden-Wochen für Dumpinglöhne schuften - und oft selbst um diese geprellt werden.
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