Polnische Bürgerbewegung gegen Demokratieabbau

Auch die oppositionelle Gesellschaft »Nowoczesna Polska« unter Wirtschaftsfachmann Petru gewinnt an Einfluss

  • Julian Bartosz,Wroclaw
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit zwei großen Demonstration im Dezember in Warschau sowie in 21 polnischen Städten zieht das polnische »Komitee zur Verteidigung der Demokratie« (KOD) zunehmend die Aufmerksamkeit auf sich.

Zum ersten Mal im Nachwendepolen entsteht eine Bürgerbewegung gegen den fortschreitenden Abbau des demokratischen Rechtsstaates. Die in den Präsidenten- wie Parlamentswahlen siegreiche Partei »Recht und Gerechtigkeit« unter dem »Oberpole« genannten Jaroslaw Kaczynski betreibt höchst aktiv eine totale Vereinnahmung aller staatlichen Institutionen und handelt sehr schnell. Dagegen wird unter Führung des KOD auf polnischen Straßen und Plätzen spontan und heftig protestiert.

Das Komitee als zivilgesellschaftliche Plattform entstand im Internet. Am 18. November riefen die KOD- Gründer die Bürger Polens auf, die damals noch unabhängige Gerichtsbarkeit in Gestalt des Verfassungstribunals gegen den Zugriff der nationalkonservativen PiS zu verteidigen. Die Autoren des Appells, die bis dahin parteipolitisch nie aktiv waren, baten Staatspräsident Andrzej Duda, die Verfassung zu schützen. Als sie völlig ignoriert wurden, riefen sie über Facebook zum Protest. In fünf Tagen gab es bis 90 000 zustimmende Reaktionen. Es folgten die Samstagsdemonstrationen.

Die erste Manifestation am 12. Dezember schien zuerst einen parteipolitischen Charakter zu haben. Doch neben den Politikern der nach acht Jahren abgewählten »Bürgerplattform« (PO) hielt Ryszard Petru eine Hauptrede. Er ist Vorsitzender der erst im April 2015 gegründeten Gesellschaft »Nowoczesna Polska«, die am 25. August in Rzeszow amtlich als Partei eingetragen wurde.

Es war geradezu erstaunlich, wie die neue Formation in wenigen Tagen in allen Wahlkreisen eigene Kandidaten für die Sejmwahl und mit wenigen Ausnahmen auch für den Senat aufstellte und schließlich auf Anhieb 28 Abgeordnete in die erste Kammer schickte. Sie sind Vertreter der Banken- und Finanzwelt. In Meinungsumfragen liegt »Nowoczesna« schon jetzt vor der Bürgerplattform und versteht sich als Anführer der Petru-parlamentarischen Opposition.

Der in Wroclaw geborene 43-jährige Ryszard Petru absolvierte die Handelshauptschule in Warschau und wurde dort Assistent von Professor Leszek Balcerowicz. Als der »große Reformator« zum Vizepremier und unter Jerzy Buzek zum Finanzminister aufstieg holte er Petru in sein Ressort. Dann empfahl er ihn für die Weltbank.

Balcerowicz half seinem Schützling auch, die »Gesellschaft polnischer Ökonomen« als Gegenstück zur kritischen Polnischen Gesellschaft der Wirtschaftswissenschaftler zu gründen und zu führen. Später stand Petru in drei großen Banken und in mehreren Aufsichtsräten an der Spitze. In einem religiösen Fernsehprogramm äußerte sich der Finanzfachmann wochenlang über »Moral und Ethik in der Krise«.

Was treibt Petru in die Bürgerbewegung? Er will die außerparlamentarische Opposition unter Kontrolle halten. Die polnische Regisseurin Agnieszka Holland offenbarte bereits ihr Unbehagen: »Es gefällt mir nicht, dass gescheiterte und aufsteigende Politiker mit uns auf der Straße sind. Es geht aber aber um die Verteidigung der Demokratie.«

Für den superliberalen und begabten Schüler von Balcerowicz seinerseits geht es vor allem um »Wirtschaftsdemokratie«. Er ist gegen die Besteuerung der Banken und des Großhandels, gegen Einmischung des Staates in die Wirtschaft und für Steuersenkungen von 23 auf 16 Prozent.

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