Zwei Bratwürste im Gespräch über die Wirtschaftskrise

Der Sänger, Maler, Liedermacher und Schriftsteller Funny van Dannen stellt in der Berliner Volksbühne seine neue Geschichtensammlung vor

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

»Zwei Bratwürste standen an einem herrlichen Frühlingstag auf und wollten sich über die große Wirtschaftskrise unterhalten. Es ging nicht.« Also unterhalten sich die beiden Bratwürste, die natürlich auch Namen haben - »Marco C.« und »Lisa P.« - , eben über andere Dinge, etwa über das eigentümliche Verhalten der Menschen insgesamt, die oft schreckliche Dinge tun, beispielsweise etwas, das sie »Golf« nennen: »Sie schlagen kleine, weiße, niedliche Bälle. Die fliegen schreiend durch die Luft und verstecken sich in Löchern. Aber die Menschen finden sie und schlagen sie immer wieder.«

Die Spezialität des mittlerweile 57-jährigen Sängers, Liedermachers, Malers und Schriftstellers Funny van Dannen, dessen Werk erkennbar geprägt ist vom Sarkasmus und der Ironiefähigkeit der Kreuzberger Kunst-, Punk- und Postpunkszene der frühen 80er Jahre, ist eigentlich das Verfassen komischer Songtexte. Die trägt er dann vor und begleitet sich dazu auf einer akustischen Gitarre. Ein eher altmodisches und simples musikalisches Konzept also, das sich bewährt hat und das schlimmstenfalls zum Mitsingen und Mitklatschen einlädt.

Im Grunde muss man sagen: Der öde Sound der Lagerfeuer- und Schunkelgitarre gehört zu den verachtenswertesten musikalischen Hervorbringungen der Gegenwart. Er wäre schwer zu ertragen, wenn da nicht die häufig hochkomischen und meist liebevoll gearbeiteten Texte wären, die die großen Gefühle entmystifizieren und die hochfliegenden Gedanken auf den Boden zurückholen, Texte, die raffiniert gereimt sind und den Zuhörer für das nach einiger Zeit enervierende, einförmige Wandergitarrenspiel entschädigen: »Ich kam mit der ganzen Gesellschaft nicht klar, ich fand sie ungerecht / Ich war für Sozialismus, Anarchie fand ich auch nicht schlecht / Ich hatte sogar Sympathien für Umsturz und Revolution / Und was war es wirklich? Schilddrüsenunterfunktion.«

Schon seit den 80er Jahren schreibt der Mann auch eine einigermaßen gewöhnungsbedürftige Kurzprosa, die einen schwer surrealistischen oder neodadaistischen Einschlag hat: meist drollige Geschichten, die sich lesen, als seien sie von einem übermütigen Kind verfasst, das im Körper eines Erwachsenen lebt, und in denen Tiere und Gegenstände belebt sind, Pfirsichhälften sich etwa zu einem Buttermilchpicknick treffen oder Kühe sich mit dem Gedanken tragen, Polarforscher zu werden. Geschichten, in denen auch keine klassischen Hauptfiguren im herkömmlichen Sinn existieren und die in aller Regel auch nicht mit einer halbwegs konsistenten oder nachvollziehbaren Handlung aufwarten. Geschichten also, die von einfallslosen Journalisten mit stark begrenzter Auffassungsgabe gerne als »schräg« bezeichnet werden.

Nicht wenige der skurrilen Prosaminiaturen erwecken beim Leser den Eindruck, sie seien vom Autor aus einer spontanen Laune heraus in kürzester Zeit freihändig zusammenassoziiert und in fünf bis zehn Minuten zu Papier gebracht bzw. flugs hingerotzt worden. Geschrieben auf eine Weise, wie man sie aus Erzählungen von sogenannten phantasievollen Kindern kennt: Also erst ist das passiert, und dann ist das passiert, dann hat der was gefragt und die hat das gesagt, und am Ende ist alles explodiert. »Ich fange einfach irgendwo an, und dann geht das von Satz zu Satz weiter. Ich grüble überhaupt nicht. Das ist dann, wenn es gut geht, zum Schluss eine Geschichte, und wenn es nicht gut geht, einfach unnachvollziehbarer Blödsinn«, sagte van Dannen kürzlich in einem Gespräch mit dem Sender Deutschlandradio Kultur. Und tatsächlich ist das exakt die künstlerische Arbeitsweise, die man als Leser bereits erahnte.

Ob man es bei den Ergebnissen des literarischen Treibens des Autors am Ende mit der bewussten Anwendung ausgewählter Stilmittel (Umgangssprache, Fehlen jeglicher Dramaturgie, Übernahme erzählerischer Strategien aus Märchen und Kinderbüchern) oder einer ausgeprägten sprachlichen Unbeholfenheit zu tun hat, mag jeder Leser sich selbst beantworten.

Funny van Dannen: An der Grenze zur Realität. Edition Tiamat, 207 S., 16 €. Buchpremiere und Lesung am 27.12., 20 Uhr, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.

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