«Niemand, außer Dr. Sarre»

Wie die islamische Kunst nach Berlin kam - eine Sonderausstellung auf der Museumsinsel

  • Ronald Sprafke
  • Lesedauer: 6 Min.

Ja wenn es doch Babel [Babylon] wäre, aber wer in ganz Berlin interessiert sich denn für die Kunst des Islam!«, klagte Wilhelm von Bode, der spätere Generaldirektor der Königlichen Museen zu Berlin, 1903 in der »Vossischen Zeitung«. Eigentlich war seit Mitte des 19. Jahrhunderts der Orient verstärkt in den Blickpunkt der Europäer gerückt. Parallel zum Kampf der Großmächte um politischen und wirtschaftlichen Einfluss dort war auch der Wettlauf um Ausgrabungsstätten und Kunstwerke entbrannt. Franzosen und Briten gruben in Mesopotamien ganze Städte aus, und Carl Humann begann 1878 mit der Freilegung des Zeus-Altares in Pergamon.

Die neuen Verkehrsmittel, Dampfschiff und Eisenbahn, rückten einst ferne Regionen auch für Sammler und Kunstinteressierte näher. In europäischen Metropolen wurden Paläste im orientalisierenden Stil erbaut und mit türkischem oder arabischem Interieur ausgestattet. Carl von Diebitsch, seines Zeichens Architekt, errichtete 1855 auf Schloss Albrechtsburg in Dresden ein »Türkisches Bad« im maurischen Stil und in Potsdam schuf er im Belvedere auf dem Pfingstberg das »Maurische Kabinett« als Gegenstück zum bereits bestehenden Römischen Kabinett. 1892 ließ der Bankier Arthur von Gwinner eine maurische Holzkuppel von Anfang des 14. Jahrhunderts aus einem Turm der Alhambra in Granada aus- und in seiner Berliner Villa einbauen. Und der Industrielle Karl-Ernst Osthaus erwarb 1899 ein osmanisches Zimmer aus Damaskus aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts, das 1930 nach Dresden ins Museum für Völkerkunde kam. Ein systematisches Erforschen der nachantiken, islamischen Kunst unterblieb indes.

Niemand kümmere sich »bei uns um die große, herrliche Kunst« der Araber, »niemand sammelt die Reste dieser Kultur«, klagte Bode 1903 weiter: »Niemand, außer Dr. Friedrich Sarre.« Wer war jener Mann?

Der Sohn einer Berliner Unternehmerfamilie hatte Klassische Archäologie und Kunstgeschichte studiert und war durch seine Tätigkeit als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter an den Museen in Deutschlands Hauptstadt mit der islamischen Kunst in Kontakt gekommen. 1894 plante er Ausgrabungen in der hethitischen Hauptstadt Boghazköy und im Hera-Heiligtum auf der Insel Samos, die aber nicht realisiert werden konnten. Im Sommer 1895 unternahm er seine erste Forschungsreise: Von Smyrna (heute Izmir) aus besuchte er die antiken Stätten an der türkischen Ägäis-Küste und reiste bis nach Konya, im 11./12. Jahrhundert Hauptstadt des Sultanats der Rum-Seldschuken. Hier faszinierten ihn die bis dahin wenig bekannten seldschukischen Baudenkmäler. Auf seiner Reise erwarb er die ersten antiken, byzantinischen und osmanischen Kunstobjekte, Beginn einer alsbald umfangreichen Sammlung. 1897 bis 1900 folgten fünf weitere Reisen durch die Türkei, den Kaukasus, Persien und Mittelasien, nach Mesopotamien, Syrien und Ägypten. Sarre studierte die islamische Architektur und verfasst ein Werk über »Denkmäler persischer Baukunst« (1910), das noch heute als Standardwerk gilt.

Für die öffentliche Wahrnehmung der islamischen Kunst war das Jahr 1899 von großer Bedeutung. Im Berliner Kunstgewerbemuseum (heute Martin-Gropius-Bau) stellte Sarre erstmals Objekte seiner Sammlung aus. Im Lichthof des Hauses, vor Teppichen und Fliesenwänden auf Schautischen präsentiert, vermittelten sie den Besuchern zusammen mit Fotografien und Zeichnungen einen Eindruck von persischen Mausoleen, Moscheen und Palästen.

1903 schenkte der osmanische Sultan Abdülhamid II. Fassadenschmuck des frühislamischen Palastes von Mschatta in Jordanien dem Kaiser-Wilhelm-Museum. Dessen Gründungsdirektor von Bode bat Sarre, die ehrenamtliche Leitung der neuen Abteilung zu übernehmen; zugleich überzeugte er ihn, Teile seiner Sammlung dem Museum als Leihgabe zu übergeben. Die Leihgaben Sarres, die Mschatta-Fassade und 21 von Bode gestiftete Teppiche bildeten den Grundstock der ersten eigenständigen Abteilung islamischer Kunst außerhalb der islamischen Welt. 1912 kam eine weitere Kostbarkeit hinzu: das Aleppo-Zimmer. Sarre kaufte die wertvolle hölzerne Wandtäfelung des Festraumes eines Privathauses im Christenviertel von Aleppo und brachte sie an die Ufer der Spree. Die islamische Kunst war in Berlin und damit in Deutschland angekommen.

Deutsche Ausgrabungen in Persien waren unmöglich geworden, nachdem der persische Schah Naser ad-Din 1895 das Grabungsmonopol an Frankreich verkauft hatte. Den Deutschen blieb das Gebiet der heutigen Türkei, Syriens und Irak. Während zweier Kampagnen gruben Sarre und Ernst Herzfeld 1911 bis 1913 in Samarra, die nördlich von Bagdad am Tigris gelegene Residenz der Abbasiden-Herrscher des 9. Jahrhunderts die berühmte Große Moschee mit Spiralminarett, Kalifenpalast und herrschaftlichen Privatgemächern aus. Es war eine der ersten systematischen Ausgrabungen originärer islamischer Architektur. Die Berlin zugesprochenen Funde wurden ab 1922 im sogenannten Samarra-Raum ausgestellt. Sarre und Herzfeld publizierten in rascher Folge Kataloge zu Bauornamentik, Malereien sowie Glas- und Keramikfunde.

Das Berliner Museum für Islamische Kunst hat nun den 150. Geburtstag seines ersten Direktors zum Anlass für eine ehrende Erinnerung gewählt. Sie ist eingebettet in die Dauerausstellung zwischen dem »Aleppo-Zimmer« und »Mschatta-Saal«. Übersichtlich gegliederte und gut lesbare Schautafeln berichten über die Lebensstationen Sarres. Ausgewählte Objekte seiner Sammlung illustrieren sein Lebenswerk. Keramikschalen sowie tauschierte Gefäße und Leuchter aus Bronze zeigen den Formen- und Dekorreichtum islamischer Kunst. Besonders faszinierend die Silbervasen mit Kranich- und Greifendarstellungen aus der sassanidische Periode des 7./8. Jahrhunderts.

Sarre hatte auch eine kleine, aber bedeutende Sammlung persischer und indischer Teppiche des 16. und 17. Jahrhunderts zusammengetragen, welche die hohe künstlerische Qualität und Vielfalt orientalischer Teppichkunst widerspiegelt. Darunter ein Tierteppich aus dem iranischen Ardabil: Löwen und Tiger fallen über Hirsche her, Eber, Bären, Luchse und Füchse fliehen; das alles ist von Blütenranken eingerahmt. Um 1925 verkaufte Sarres Frau den Teppich in die USA, seit 1992 gehört er dem Museum of Islamic Art in Qatar. Auffallend ist, dass nicht nur Meisterwerke gesammelt wurden, sondern auch Fragmente, wenn sie von außergewöhnlicher Qualität waren, darunter Teile eines indischen Moghulteppichs, gedruckter Bücher oder bebilderter Handschriften. Zu den kostbarsten Stücken der Sarre-Sammlung gehört ein großer Prachtkoran aus Schiraz (um 1560) mit 333 Textblättern und leuchtenden Illustrationen. Von außergewöhnlicher Schönheit ist ein Einzelblatt aus dem »Gulistan« des persischen Dichters Sa’di. In Goldmalerei auf blauem Grund sind ein Phönix mit Riesenschweif, Pflanzen und weitere Tiere dargestellt.

Im Ersten Weltkrieg war Sarre eingebunden in die expansive Orientpolitik des Kaiserreiches. Wegen seiner guten Beziehungen und Landeskenntnisse wurde er 1915 nach Persien abkommandiert. Seine Mission scheiterte, England und Russland teilten das Erbe des Osmanischen Reiches nach dem Krieg unter sich auf. Sarre kehrte 1918 nach Deutschland zurück. Drei Jahre später übergab er 686 islamische Kunstwerke als Geschenk an sein Museum, das er nun bis zu seinem Ruhestand 1931 als fest angestellter Direktor leitete. Studienreisen führten ihn noch in die USA und in die Sowjetunion, nach Leningrad. Kaisertreu geblieben hegte er keine Sympathien für das Nazi-Regime. Eine ihm übertragene Honorarprofessur für die Archäologie des iranischen Kulturkreises an der Friedrich-Wilhelms-Universität trat er nicht an.

Der Begründer der islamischen Archäologie und Kunstgeschichte in Deutschland starb am 1. Juni 1945. Drei Tage später wurde die Villa der Familie in Neubabelsberg zur Vorbereitung der Potsdamer Konferenz geräumt. Die dort verbliebenen Kunstobjekte, wissenschaftliche Aufzeichnungen sowie die reiche Bibliothek wanderten auf eine Mülldeponie und gelten heute - bis auf wenige Exemplare - als verschollen.

Wenn der Besucher nach dem Rundgang durch die Ausstellung die Treppe zur Prozessionsstraße hinabsteigt, sollte er die beiderseits aufgehängten Fotos beachten, darunter zwei von der mittelalterlichen Zitadelle im syrischen Aleppo und der Grabanlage Al-Arbain im irakischen Tikrit. Die mächtigen Mauern der Zitadelle sind heute zerschossen, die Kuppelgräber des islamischen Heiligtums gesprengt.

»Wie die islamische Kunst nach Berlin kam. Der Sammler und Museumsdirektor Friedrich Sarre«, Museum für Islamische Kunst im Pergamonmuseum, bis 24.01.2016; Begleitband, Dietrich Reimer Verlag, 160 S., 78 Abb., 39 €.

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