Entwerfen für ein Ensemble

»Ortstermin mit Leoni Wirth« im Kunsthaus Dresden

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 5 Min.

Selbst Dresdner Kunstkennern war ihr Name bisher kaum ein Begriff: Leoni Wirths Schicksal war das vieler komplexer Gestalter - sie war in keiner Schublade unterzubringen. War sie Architektin? Dank eines abgebrochenen Studiums: zum Teil. War sie Bildhauerin? Dank des vollendeten Studiums: ja. Aber nicht im üblichen Sinn. Sie dachte über die Figur hinaus. Deshalb war sie genau die Richtige, welche die Freiflächen der Prager Straße in Dresden künstlerisch beleben konnte. Ende der 60er Jahre: Mit einer offeneren Bebauung war die von Tradition beladene Dresdner Altstadt zu modernisieren. Also wurde vom Hauptbahnhof her städtebaulich eine großzügige Eingangssituation geschaffen.

Da kamen zu Architekten, die ihren Le Corbusier kannten, Künstlerinnen und Künstler mit experimentellen plastischen Entwürfen. Gediegene Handwerker waren in der Lage, in Glas und Metall ihre Ideen zu realisieren. Leoni Wirth schuf mit ihnen die beiden raumgreifendsten Kompositionen als Wasserspiele: den Pusteblumen- und den Schalenbrunnen. Siehe da - ein urbanes Flair entstand, heiter und einladend. Das Areal der flankierenden Hotel- und Wohnbauten schloss das mit Aluminiumwaben gepanzerte Warenhaus und ein attraktives Rundkino ab. In Sichtweite entstand an der Nordseite des Altmarktes der Kulturpalast. Ein überzeugendes städtebauliches Konzept.

Das dachten Anwohner und Stadtnutzer zumindest bis zur Kehrtwende aller Werte 1989. Da galt plötzlich in den Augen vorher nicht dabei gewesener Zugereister kaum noch etwas als wertvoll. Die perfekte Komposition der Prager Straße wurde revidiert, die Brunnensubstanz unzulässig reduziert. Dem Ersatzbau des Kaufhauses konnte Peter Kulka erst nach langem Kampf wieder ein Wabenkleid verpassen. Schweigen wir lieber von der Überheblichkeit des schnellen Aburteilens und der Prahlerei eines nun zu leistenden »Neuaufbaus«. Jenseits der Glanzleistung der wieder errichteten Frauenkirche gab es einen Flop nach dem anderen: einen jeglichen Kontext zum Umfeld verweigernden Synagogen-Neubau. Das wirkungslos in einer fremden Fassade verschwindende gläserne Kugelhaus. Bürokraten und Investoren im Dauerclinch, das ist kein erfreuliches Schauspiel. Was jedenfalls Top-Namen wie Wehberg (Hamburg) und Schürmann (Köln) zu Altmarkt und Postplatz bisher an »Stadtgestaltung« bewerkstelligten - wen soll das vom Hocker reißen?

Inzwischen ist Leoni Wirths Wirken lange her. Nach 1990 war sie nicht mehr gefragt. Sie engagierte sich dann mehr als Tierschützerin denn als Künstlerin in der Öffentlichkeit. Nun haben die Kuratoren Torsten Birne und Christiane Mennicke-Schwarz den Nachlass der 2012 Gestorbenen bei ihrem Sohn Dr. Hans Wirth entdeckt. Das Erinnern an sie verknüpfen diese nun mit dem schöpferischen Tun der Gegenwart. Die im Kunsthaus Dresden Rähnitzgasse 8 veranstaltete Ausstellung leistet das auf überraschend aufklärerische Weise. Indem sie als geistesverwandt mit der Dresdner Ausnahmekünstlerin sechs exotisch-ausländisch geprägte Namen und nur eine deutsche Fotografin ins Spiel bringt, setzt sie ein Signal. Ein Glück, die deutsch-deutsche Misere einmal auszublenden, die gerade in Dresden immer wieder die Gemüter aufs Äußerste erhitzt.

Wieso erkennt bisher niemand, dass künstlerisches Wirken zu DDR-Zeiten sehr wohl in den Kontext internationaler Trends zielte? Verblüffend die Affinität der naturverbundenen Abstraktion bei dem arabisch oder eben nur andersartig geprägten Temperament der Gegenwärtigen zu Leoni Wirths Eigenart in ihren Entwürfen und Modellen. Die in den 70er Jahren Geborenen korrespondieren durchaus mit der Frau vom Geburtsjahrgang 1935.

Am nächsten kommen der Arbeitsmethode der Dresdnerin die Tadschikin Rimma Arslanov und die Ägypterin Susan Hefuna. Das mit vegetativer Ornamentik Vertraute ihrer Herkunft befähigt sie, solcherart Elemente erst zeichnerisch und dann plastisch abstrahierend in Anwendung zu bringen.

Was ein wenig schade ist - unmittelbar im öffentlichen Raum Realisiertes ist tatsächlich nur von Frau Wirth aus DDR-Zeiten zu sehen. Ideenskizzen und plastische Varianten zu ihren Brunnen und ihrer »Windfahne« ergänzen Großfotos aus der realen Szene. Auf diese Weise wird ihr hohes Maß an komplexem Denken im Entwerfen für ein Ensemble deutlich. Genau das fällt heute in der Regel dem egoistisch merkantilen Ehrgeiz von Auftraggebern zum Opfer. Deshalb bleibt so vieles nur Stückwerk. Nennenswerte künstlerische Ausstrahlung wird so verhindert.

Die im Großen Saal der Galerie Rähnitzgasse auf drei riesigen Tischflächen ausgebreiteten Arbeiten bieten eine Fülle von Beispielen ihrer Kreativität. Pflanzliches oder Strukturelles wirkt in den Raum hinein, so filigran oft, dass der Schritt zum Mobile nahe läge. In der Fläche ausgelegt skizzenhaft Kompositorisches andeutende Notizen. An den Wänden in Übergröße die umfassenderen Konzepte. Was Architekten in maßloser Selbstüberschätzung heute in der Regel selbst an sich reißen, die eigentliche Kunst am Bau - hier liegt sie in der Hand der Künstlerin. Le Corbusier vereinte noch beides in vollkommener Weise. Kein Wunder, wie gut Margret Hoppe mit ihren farbigen Großfotos von Details seiner Sakralbauten in diese Ausstellung passt. »Visuelle Recherchen« nennt sie das.

Es ist kein Zufall, wenn die vier »Gelehrtensteine« von Su-Ran Sichling vor der Wand mit diesen Motiven harmonisch zur Geltung kommen. Da passen sie als Kontrapunkt hin. Doch wir lesen: Diese »Suiseki«, seltene Natursteine aus japanischer Tradition, sollen, hier in den Baumaterialien Waschbeton und Terrazzo ausgeführt, symbolisch für den Aufbau der Nachkriegsmoderne stehen. Eine etwas gewagte theoretische Konstruktion. Auch die Exponate von Ali Kaaf haben nicht die zwingende ästhetische Ausstrahlung, die restlos überzeugen würde. Das tiefe »Schwarz an sich« bezeichnet der Künstler als einen Nullraum, als eine »erfüllte Leere«. Eine architektonische Formel darin zu entdecken, fällt schwer. Genau das war das Problem, das letzten Endes Leoni Wirths Konzepte immer wieder gefährdet hat: wenn sie von einem sinnvollen Zweck isoliert blieben.

Es ist leider ein weit verbreiteter Irrweg, die Abstraktion auf hermetische Verinnerlichung zu beschränken. Dabei braucht sie gerade die Außenwelt. Die optische Infrastruktur der Dresdner Innenstadt wird von zweierlei dominiert: jede Menge pseudohistorischer Repliken, und hart daneben zahlreiche minimalistisch frei gelassene Leerräume. Da könnten einige Elemente modern abstrahierender künstlerischer Gestaltung das ästhetische Lebensgefühl erheblich fördern. Der Mensch braucht Kultur auf Schritt und Tritt, nicht bloß als kleine Ausnahme. Gerade in der Kunststadt Dresden.

Ortstermin bei Leoni Wirth. Modelle und Entwürfe aus dem Atelier von Leoni Wirth und zeitgenössische Positionen zu Abstraktion und Moderne. Kunsthaus Dresden Städtische Galerie für Gegenwartskunst, Rähnitzgasse 8, 01097 Dresden. Bis 6. März 2016 Di-Do 14-19 Fr-So 11-19.

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