»Ausgrenzung der Kundschaft«
Wie die Bahn in Hessen aus der Fläche verschwindet
Gegen die drohende Schließung der beiden Reisezentren der Deutschen Bahn (DB) im hessischen Limburg an der Lahn regt sich Protest. Die Limburger LINKE hat für den späten Mittwochnachmittag eine Kundgebung mit »offenem Mikrophon« auf dem Bahnhofsvorplatz angemeldet und hofft auf Echo aus der Bevölkerung. »Wir wenden uns an Parteien, den DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften sowie an Bürger, Vereine und Fahrgastverbände, denen die Attraktivität der Bahn ein Anliegen ist«, erklärt LINKE-Kreisvorstandsmitglied Harry Herr. Die auf Rendite getrimmte und durch private Konkurrenz in die Defensive geratene Deutsche Bahn zieht sich in etlichen Regionen aus der Fläche zurück, was vielerorts im Bundesgebiet beklagt wird.
Protestauslöser in Limburg waren Medienberichte über eine mögliche Aufgabe der Ticket-Verkaufsstellen der Bahntochter DB Vertrieb im Limburger Hauptbahnhof sowie im Bahnhof Limburg Süd an der 2002 eröffneten ICE-Schnellfahrstrecke Köln-Frankfurt (Main). In beiden Reisezentren kann man sich von DB-Mitarbeitern beraten lassen und Tickets für Fern- und Regionalzüge sowie den Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) erwerben.
Hauptleidtragende bei einer Schließung, erklärt Herr, »wären ältere Menschen, Kinder, Sehbehinderte, Flüchtlinge und Touristen, für die Fahrscheinautomaten oder Internetvertrieb aus verschiedenen Gründen nicht in Frage kommen«. Deren Interessen dürften nicht dem Rentabilitätsdenken geopfert werden. Mit der Aktion wolle man Einfluss auf die Entscheidungsprozesse organisieren und sich »einer Ausgrenzung von Kundschaft ebenso in den Weg stellen wie der vermeintlichen ›Einsparung‹ von langjährigen Beschäftigten«, so Harry Herr.
Ein Bahnsprecher in Frankfurt (Main) bestätigte auf »nd«-Anfrage, dass bei DB Vertrieb derzeit im gesamten Südwesten der Republik das Kundenverhalten und die Vertriebswege unter die Lupe genommen würden. Diese Überprüfung betreffe nicht nur die DB-eigenen Reisezentren mit persönlicher Beratung in zahlreichen Bahnhöfen, sondern auch Automaten an Bahnhöfen und Internetplattformen sowie privat betriebene Agenturen in Bahnhöfen und Reisebüros als externe Vertragspartner.
Den Ausschlag könnte der Ausgang eines laufenden Ausschreibungsverfahrens geben, das der RMV - erstmals überhaupt - eingeleitet hat. Dabei geht es um den Ticketvertrieb für den Regionalverkehr ab Januar 2018 für einen Zeitraum von zehn Jahren. Sollte die DB, die bisher als RMV-Vertragspartnerin mit den Fahrscheinen umfangreiche Umsätze verbucht hat und sich jetzt an der Ausschreibung beteiligt, den Kürzeren ziehen, so könnte dies das Aus für die Limburger Reisezentren besiegeln. Denn dann breche für DB Vertrieb »ein essenzieller Teil des heutigen Geschäfts weg«, gab die DB unlängst in einem Schreiben an die Stadt Limburg zu bedenken. Abgesehen davon müsse auch der Fahrkartenvertrieb »effizient, kostengünstig und wirtschaftlich« organisiert werden.
Limburg war historisch ein wichtiger Eisenbahnknoten an der Lahntalstrecke zwischen Gießen und Koblenz. Hier standen unweit des Hauptbahnhofs im 20. Jahrhundert bis zur endgültigen Stilllegung 2005 viele Arbeiter in einem großen Bahnausbesserungswerk in Lohn und Brot. Der neue Bahnhof Limburg-Süd entstand unweit der Autobahn A3 auf der grünen Wiese und wird nur von ICE-Zügen angefahren.
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