Linkswende gegen den Rechtstrend
Die Debatte über Chancen und Blockaden von Mitte-Links als Bollwerk gegen Rechtsentwicklung läuft: Kann Rot-Rot-Grün ein »historischer Kompromiss« sein?
Bereits mehrfach haben Politiker der Linkspartei angesichts der wachsenden Gefahr eines europäischen Rechtsrucks und des Aufstiegs rechter Parteien wie der AfD die Verantwortung von Rot-Rot-Grün als mögliches Verteidigungsbündnis gegen Rechts hervorgehoben.
Weniger um ein parteipolitisches denn um ein gesellschaftspolitisches Projekt müsse es gehen, heißt es allerdings in einem Papier, das unter anderem Linksfraktionsvize Jan Korte und die Parlamentarische Geschäftsführerin Petra Sitte formuliert haben. Die Linkspartei müsse »den Anspruch einer Linkswende im Land offensiv formulieren. Das ist, angesichts einer drohenden Rechtsentwicklung, die vernünftigste Entscheidung«.
Allein wird das nicht so einfach sein - und bei der Frage, auf welche Bündnispartner man setzen könnte, gehen die Meinungen auseinander. In dem unter anderem von Korte und Sitte formulierten Vorschlag wird auf ein »Projekt der sozialen Modernisierung« orientiert, für das »Gewerkschaften, Sozialverbände, die große Community der Flüchtlingshelfer, antirassistische Initiativen und natürlich Mitglieder anderer Parteien, vor allem von SPD, Grünen und Piraten« gewonnen werden könnten.
Etwas enger umreißt der frühere Fraktionschef Gregor Gysi das Bündnisfeld: Er hat es unlängst als eine »Pflicht« bezeichnet, dass die Linkspartei »zusammen mit SPD und Grünen ein linkes Projekt gegen die jetzige Entwicklung Europas und Deutschlands« schmiedet. Er sprach von großer Verantwortung - es müsse begriffen werden, »dass wir alle verlieren werden, wenn es uns nicht gelingt, ein funktionierendes, überzeugendes, linkes Projekt gegen die Rechts-Entwicklung« auf die Beine zu stellen. Zur Untermauerung seines Vorstoßes griff Gysi auch in die Geschichte aus: »Vor 1933 war es ein Versagen von KPD und SPD, dass sie nicht mal im Ansatz Gemeinsamkeiten gegen die Nazis gefunden haben«, sagte er dem »Spiegel« - darauf veweisend, dass man heute vor der »neuen schwierigen Situation« eines drohenden Rechtsrucks stehe.
Zuvor hatte bereits Linksfraktionsvize Klaus Ernst in der »Frankfurter Rundschau« für »eine neue Sammlungspolitik links von der Mitte« geworben - als Bündnis der Verteidigung gegen eine noch weiter gehende europäische Rechtsentwicklung. Ernst beklagte, dass »die Reflexion darüber in der Linken« von einer »Zuschauermentalität dominiert« werde. »Die Linie, an der sich die demokratische Linke neu finden muss, ist eine Abwehrlinie. Es geht nicht darum, ob wir am radikalsten den Kapitalismus kritisieren. Es geht um alles«, so Ernst.
Die Debatte erinnert in Teilen an den »historischen Kompromiss« in Italien, eine Strategie, die ab 1973 von der dortigen Kommunistischen Partei verfolgt wurde: Mit den wichtigsten Parlamentsparteien, darunter die konservative Democrazia Cristiana und die Partito Socialista Italiano, sollten Kompromisse gesucht werden, um das Land vor einem Rechtsruck und der Gefahr eines autoritären Regimes zu bewahren.
Ernst verlangte nun in der »Frankfurter Rundschau« mehr selbstkritische Ehrlichkeit von der Linkspartei. »Wer will es denn den Menschen verdenken, dass sie die Alternative rechts von der Mitte sehen, wenn sich links von der Mitte seit Jahrzehnten nichts tut«, so seine rhetorische Frage. Die Antwort: »Wir haben die Debatte über unsere strategische Perspektive zu lange aufgeschoben.«
Dass es dabei auch um Rot-Rot-Grün als Option geht, ist naheliegend. Hierin aber sieht Michael Brie vom Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung keine Basis für eine wirkliche Kurswende. »Mitte-Links hat die umfassende Durchsetzung des Neoliberalismus mit modifizierten Mitteln erst ermöglicht«, warnt der frühere Chef der PDS-Programmkommission mit Blick auch auf SPD und Grüne. Das »permanente Erstarken der Rechten« sei von »neoliberaler Politik der Allparteienkoalition« ermöglicht worden. Von dieser Politik gehe »keine Hoffnung aus«, so Brie. Auch werde sich die Linke »nicht von der Abwehrlinie aus neu erfinden« können.
Abwehr und neue Offensive zusammenzudenken, ist das Credo bei Korte und Sitte. »Wir denken als Linke global und handeln internationalistisch. Und internationalistisch wäre es, die nächste Chance auf die Macht in Deutschland zu ergreifen.« Realistisch einzuschätzen, welchen Einfluss die Linke als Opposition real hat, gehört genauso dazu wie eine kritische Einschätzung der bisher schon geführten Debatten um Mitte-Links-Option.
Und schließlich geht es auch um die Selbstveränderung der Linkspartei. »Die politische Lage verändert sich, wir sollten uns auch ändern. Die Jahrzehnte gemütlicher Opposition, sie könnten vorbei sein. Stellt sich die Machtfrage von rechts«, heißt es in ihrem Papier, »dann muss sich die Linke entscheiden.«
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