Das Comeback der Schallplatte
Gleich zwei ostdeutsche Presswerke in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern profitieren von der neuen Sehnsucht nach Vinyl
Die Schallplatte war beim Weihnachtsfest in diesem Jahr wieder häufiger auf dem Gabentisch zu finden. Die schwarzen Scheiben von einst sind längst nicht mehr immer nur schwarz, sondern auch grün, rot, blau oder weiß und beliebt wie lange nicht, hat der Bundesverband Musikindustrie in Berlin herausgefunden. Demnach gehen nicht nur die Verkaufszahlen steil nach oben. Laut einer Umfrage standen neben CDs, Download-Gutscheinen und Streaming-Abos auch Schallplatten weit oben auf dem Wunschzettel, hieß es. Etwa jeder vierte Befragte findet eine Schallplatte als Weihnachtsgeschenk gut.
»Schallplatten machen einfach einen edlen Eindruck«, findet Carsten Haupt von Celebrate Records, einem von noch etwa einer Handvoll Schallplattenherstellern in Deutschland. Allein das Plattencover sei oft ein Kunstwerk. In dem schlichten, flachen Bau des Unternehmens in einem Gewerbegebiet am Autobahnanschluss von Stollberg im Erzgebirge lassen mittlerweile die Größen der deutschen und internationalen Musikbranche Vinylscheiben pressen. Plattencover von Silbermond, Revolverheld, Barbra Streisand, Justin Timberlake, Michael Jackson, Bob Dylan zieren wie in einer Galerie die Wand. »Mittlerweile bringen fast alle Künstler, die eine CD produzieren, parallel dazu eine Schallplatte heraus«, sagt Haupt.
Mehr als zwei Millionen Platten stellt allein Celebrate Records nach Angaben Haupts mit rund 40 Mitarbeitern jährlich her. Etwa 70 Prozent gingen in den Export. »Wir produzieren für die ganz Welt.« Celebrate Records ist nicht der einzige Hersteller.
Laut dem Bundesverband Musikindustrie ist die Schallplatte schon seit Jahren wieder auf dem Vormarsch. 2014 seien in Deutschland rund 1,8 Millionen Platten verkauft worden, so viele wie seit 1992 nicht. Der Umsatz haben bei 38 Millionen Euro gelegen.
Seit Ende der 1970er Jahre seien die jährlichen Umsätze bis auf etwa sechs Millionen Euro im Jahr 2006 geschrumpft, hieß es. Doch seit 2007 gehe es wieder bergauf. Mit 3,1 Prozent sei der Marktanteil von Vinyl verglichen mit anderen Tonträgern wie etwa der CD (60,6 Prozent) zwar noch relativ bescheiden. Doch das Wachstum sei enorm. Allein in den ersten zehn Monaten dieses Jahres gingen nach Verbandsangaben rund 1,4 Millionen Platten über den Ladentisch - etwa 25 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres.
Deutschlands wohl größter Schallplattenhersteller, die optimal media GmbH in Röbel an der Müritz (Mecklenburg-Vorpommern) hat nach eigenen Angaben im vergangenen Geschäftsjahr rund 16 Millionen Platten gepresst und will die Kapazität bis zum Frühjahr auf 22 Millionen steigern.
Die Rückkehr der Schallplatte lässt die Experten rätseln. »Was genau die Initialzündung für diesen Boom war - ausgerechnet in einer Zeit, in der alle Zeichen auf Digitalmusik stehen, von der CD über den Download bis zum Streaming - kann man nur vermuten«, sagt der Geschäftsführer des Bundesverbandes Musikindustrie, Florian Drücke. Vielleicht sei es die Sehnsucht nach Entschleunigung in einer Welt, die immer schneller und in immer mehr Lebensbereichen digitalisiert.
Die Vinylwelle hat längst auch die jüngere Generation erfasst. Die Bautzener Band »Silbermond« etwa hat ihr jüngstes Album »Leichtes Gepäck« auch auf Vinyl herausgebracht. »Wir schätzen die Haptik und den warmen, satten Vinylsound sehr«, erklären die jungen Künstler mit Frontfrau Stefanie Kloß.
»Der Klang von Schallplatten ist einzigartig weich - nicht zu vergleichen mit dem von MP3-Playern«, schwärmt Carsten Haupt von Celebrate Records. »Wenn man die Augen schließt, hat man das Gefühl, direkt vor dem Künstler zu sitzen.« Ein geringes Rauschen und Knistern gehöre dazu. Er glaube jedoch, dass sich viele der Platten, die jetzt verkauft werden, nie auf einem Plattenteller drehen werden. »Es sind auch Fan-Artikel.«
»Wir müssen bei einigen Platten mittlerweile auf die Nachpressungen warten«, berichtet Tino Tuch vom Plattenladen in Dresden-Loschwitz. Das Angebot sei in den vergangenen Jahren besser geworden. »Da wird auch mehr gekauft.« Viele sähen in der Schallplatte »Kunst zum erschwinglichen Preis«.
An der Herstellung der Schallplatten hat sich in den vergangenen Jahren nicht mehr viel geändert und ist verglichen mit der CD aufwendig. Die Maschinen sind noch von früher. Bei etwa 180 Grad wird mit Hilfe von Matrizen die Tonspur ins Vinyl gepresst. Die fertige Platte wird beschnitten und muss 24 Stunden kühlen. Dennoch sei der Sound besser als früher, glaubt Haupt. »Entscheidend ist die Rezeptur des Vinylgranulats. Und die ist geheim.« Seit vergangenem Jahr steckt Celebrate Records in der Insolvenz. Doch Haupt macht einen gelassenen Eindruck. Die Insolvenz habe interne Ursachen. Er hoffe, sie bald hinter sich zu lassen. dpa/nd
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