Die Fußfesseln der Politik
Münchner Terrorwarnungen zum Jahreswechsel schaffen ein Klima der Angst, in dem vieles möglich wird
Der Hauptbahnhof und die Station Pasing wurden gesperrt. Die Polizei bat alle Menschen mit Feierlaune, Menschenansammlungen zu meiden. Die Hinweise, die den Warnungen zugrunde lagen, seien seriös, hieß es. Angeblich kennt man die Terroristen. Den Namen nach. Am Freitag sagte Münchens Polizeipräsident Hubertus Andrä: »Wir bemühen uns, ihnen Namen und Gesichter zuzuordnen. Doch sind diese Ermittlungen noch lange nicht abgeschlossen.« Man bemühe sich - das war auch der aktuelle Stand am Sonntagabend.
Es gibt verschiedene Quellen für die Anschlagsfurcht. Erst hieß es, ein französischer Geheimdienst habe Namen von bis zu sieben IS-Terroristen aus Syrien und Irak übermittelt, die es auf die Feiernden in der bayerischen Landeshauptstadt abgesehen haben. Erst am Silvesterabend seien diese Informationen bei der Polizei in München eingegangen. Eine - nur scheinbar - ganz andere Geschichte haben die ARD-Kollegen Oliver Bendixen und Holger Schmid recherchiert. Demnach sei ein Mann aus Irak bereits am 23. Dezember in einem badischen Polizeirevier aufgetaucht. Er habe darum gebeten, dass die Polizei bei seinem Bruder in Irak anruft, der wisse etwas von einem geplanten Terroranschlag. Ganz klar eine Sache für den Staatsschutz des Landeskriminalamtes. Aus Stuttgart rief man also den Bruder des Tippgebers an. Ergebnis: Der Mann in Irak warnte vor einem Anschlag auf den öffentlichen Nahverkehr in München, den sieben Terroristen verüben wollten. Die Killer seien bereits in der Stadt. Der Mann nannte arabische »Allerweltsnamen« und einen Termin: Am oder kurz nach dem 6. Januar 2016, dem Fest der heiligen drei Könige.
Das LKA in Stuttgart übergab alles an das LKA in München. Bundesbehörden wurden eingeschaltet: BKA, Verfassungsschutz, BND, auch Interpol und Europol - alle suchten fieberhaft nach den Genannten. Man stürmte am 30. Dezember sogar Unterkünfte in einem Hotel. Ergebnis? Keines. Hat der IS die Informationen lanciert? Möglich. Die Verantwortlichen in München wollten kein Risiko eingehen. Sie verfügten Restriktionen, schlossen die Bahnhöfe. Wer will ihnen das vorwerfen? Schließlich hat man eine Woche nach den verheerenden November-Terrormorden von Paris in Hannover ein Fußball-Länderspiel aufgrund weniger Hinweisen abgesagt. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek, stellte sich am Wochenende daher deutlich an die Seite seiner Münchner Kollegen und lobt: »Wieder einmal haben die Sicherheitsbehörden ihre Handlungsfähigkeit bei akuten Terrorwarnungen unter Beweis gestellt.« Die Polizei habe offenbar die Pläne der Terroristen durchkreuzt.
So es die wirklich gab. Inzwischen überlegen die beteiligten Dienste, ob die beiden Geschichten nicht irgendwie doch zusammenpassen. Womöglich haben die irakischen Tippgeber nicht nur mit den Behörden in Baden-Württemberg, sondern auch mit Geheimdienstlern in Frankreich gesprochen.
Sicherheitsbehörden wie verantwortliche Politiker sitzen in der Terror(alarm)falle. Und aus der konservativen Ecke kommen abermals Forderungen nach einer besseren Zusammenarbeit der EU-Geheimdienste. Einer der Initiatoren des medialen Treibens ist der CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer. Die intensive und auch sehr konstruktive Zusammenarbeit ausländischer Nachrichtendienste sei »das Gebot der Stunde«, meint er. Da gebe es »mit Sicherheit an der einen oder anderen Stelle auch noch etwas zu intensivieren, auch auszubauen«. Für Mayer ist es wichtig, diese Botschaft an die Bevölkerung zu geben. Damit sie nicht einfach verhallt, bekräftigte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), der internationale Austausch von Informationen müsse intensiviert werden. Sogleich fühlt sich Unionsfraktionschef Volker Kauder gefordert und sprach sich ebenfalls für eine verstärkte Kooperation mit ausländischen Geheimdiensten aus. Man brauche gut ausgestattete Behörden, um die Informationen über Anschlagsplanungen zusammenzutragen und zu bewerten.
Das Thema Terror und Terrorabwehr steht - ganz zufällig? - neben der »Flüchtlingskrise« auf der Tagesordnung der anstehenden Klausur der CSU-Landesgruppe in Wildbad Kreuth ganz oben. Angesichts der latenten Bedrohungslage dringt die CSU auf zusätzliche Anti-Terror-Maßnahmen. Man zieht die Möglichkeit einer elektronischen Fußfessel für sogenannte Gefährder in Betracht. »Wenn wir konkret nachweisen können, dass jemand eine echte Gefahr hier bedeutet, dann sind solche Fußfesseln denkbar. Wenn es sich um ausländische Staatsangehörige handelt, müssen wir auch die Möglichkeiten einer Ausweisung immer sofort prüfen«, sagte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU).
Irgendwie klingt das alles nach einer neuen Form von Notstandsgesetzen. Selbst dämlichste, mehrfach abgelehnte Vorschläge kommen wieder auf den Tisch. Dafür reichen Gerüchte und Fehlalarme. Der Bahnhof in Pasing war beispielsweise geräumt worden, weil ein Polizeihund Sprengstoff erschnüffelt haben wollte. Einen anderen Einsatz provozierte ein Mann im oberbayerischen Mammendorf, als er mit einer nicht existenten Bombe drohte. Der Zug wurde gestoppt und durchsucht.
Erfolglos, doch nicht vergebens aus Sicht der CSU. Das Klima der Angst ist allgegenwärtig. Wer immer die angeblichen Terroristen sind - sie haben ein Ziel erreicht: Der Rechtsstaat Deutschland gibt seine Grundlagen auf. Stück für Stück.
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