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Saudische Blutorgie gebiert Gewalt

Proteste und Ausschreitungen in vielen Teilen der islamischen Welt

  • Lesedauer: 4 Min.
Eine Massenhinrichtung politischer Gefangener in Saudi-Arabien hat international teils scharfe Reaktionen ausgelöst.

Teheran. Die Hinrichtung des schiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr in Saudi-Arabien hat die Spannungen Riads zu jenen islamischen Staaten, in denen es eine große schiitische Minderheit gibt, verschärft, vor aller aber zu Iran. Die Islamische Republik ist der einzige Staat, in dem der Schiismus Staatsreligion ist. In der Nacht zum Sonntag stürmten iranische Demonstranten die saudische Botschaft in Teheran, setzten Teile des Gebäudes in Brand und verwüsteten Büros. »Zweifellos wird das zu Unrecht geflossene Blut dieses Märtyrers Folgen haben, und die saudischen Führer werden die Rache Gottes spüren«, sagte der oberste Führer Irans, Ajatollah Ali Chamenei.

Nimr, der lange Zeit in Iran lebte und in Saudi-Arabien die Unterdrückung der schiitischen Minderheit anprangerte, war am Samstag mit 46 weiteren Personen als »Terrorist« exekutiert worden. Die Todesurteile wurden durch Enthauptungen oder Erschießungen vollstreckt. Daraufhin flammten Proteste unter Schiiten in anderen Ländern auf: In Irak gingen in der Provinz Al-Wasit Hunderte auf die Straße und forderten die Schließung der saudischen Botschaft in Bagdad. In Bahrain und dem indischen Teil Kaschmirs demonstrierten insgesamt Tausende gegen die Hinrichtung von Nimr.

Trotz weiträumiger Absperrungen versuchten in Teheran auch am Sonntag Hunderte Demonstranten zur saudischen Botschaft vorzudringen - es gab Zusammenstöße mit der Polizei und Rufe wie »Tod der saudischen Königssippe«. Irans Präsident Hassan Ruhani verurteilte den nächtlichen Sturm auf die Auslandsvertretung. »Der Angriff von Extremisten auf die saudische Botschaft in Teheran ist in keiner Weise zu rechtfertigen und hat negative Auswirkungen auf das Image Irans«, teilte Ruhani am Sonntag in einer Presseerklärung mit.

Dem 55-jährigen Nimr wurde im Urteil - dem Gerichtsverfahren durften keine Ausländer beiwohnen - vor allem Aufstachelung zum Separatismus zur Last gelegt. Eingesperrt worden aber war er vor allem wegen seiner Kritik an der Unterdrückung der schiitischen Minderheit in Saudi-Arabien durch das sunnitische Königshaus. Der Wahhabismus, eine nur in Saudi-Arabien dominierende, extrem intolerante Ausprägung des Islam, betrachtet die Schiiten nicht als Anders-, sondern als Ungläubige. Dennoch mied Nimr in seinen Reden Aufrufe zur Militanz. Er war im Gegenteil gerade für seine Unterstützung friedlicher Proteste bekannt. Dem Königshaus galt er dennoch als treibende Kraft hinter den Demonstrationen gegen die Regierung, die zu Beginn des Arabischen Frühlings 2011 auch im schiitischen Ostteil Saudi-Arabiens aufflammten. Der zivile Widerstand konnte und kann nur von Moscheen ausgehen, da jegliche politische Betätigung wie überhaupt Parteien und Organisationen, auch Gewerkschaften, als schwere Straftaten verfolgt werden.

Die Hinrichtungen in Saudi-Arabien lösten international Besorgnis vor gefährlichen Entwicklungen in der islamischen Welt aus. Aus Regierungskreisen in Berlin hieß es außerdem, »Deutschland setzt sich gemeinsam mit seinen Partnern in der EU für die Abschaffung und Ächtung der Todesstrafe ein - und zwar weltweit. Die Hinrichtung von Nimr al-Nimr verstärkt unsere bestehenden Sorgen über zunehmende Spannungen und sich vertiefende Gräben in der Region.«

Die USA, die seit ihrer Irak-Invasion 2003 Truppen in ihren saudi-arabischen Stützpunkten haben, riefen die Führung in Riad auf, »die Menschenrechte zu respektieren und zu schützen«. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon zeigte sich »zutiefst bestürzt« und äußerte »ernsthafte Zweifel an der Art der Strafen und der Fairness der Verfahren«. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Said Raad al-Hussein aus Jordanien, erklärte in Genf: »Verurteilungen dürfen nicht auf Geständnissen basieren, die unter Folter oder unter Prozessbedingungen gemacht wurden, die nicht internationalem Standard entsprechen.« Kritik an den Hinrichtungen äußerte auch die EU-Außenbeauftragte Federica Mo-gherini. Die EU lehne die Todesstrafe grundsätzlich ab, erklärte sie.

In Deutschland forderte die Opposition den sofortigen Stopp aller Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien. Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth von den Grünen sagte der »Welt«, Saudi-Arabien sei das Land, das die ideologische Grundlage für die Terrororganisation »Islamischer Staat« und andere islamistische Fundamentalisten und Terroristen liefere. Der Vorsitzende der Linkspartei Bernd Riexinger sagte derselben Zeitung, ein Stopp der Waffenexporte wäre längst überfällig. »Denn das Regime in Saudi-Arabien ist einer der Mitverursacher der Kriege in der Region.«

Der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel sagte der »Braunschweiger Zeitung«, die Hinrichtungen seien schockierend. Saudi-Arabien sei »ein Partner gerade mit Blick auf die Stabilität in der Region«. Doch sei die Führung des Königreiches aufgefordert, die Einhaltung der Menschenrechte sicherzustellen. »Wir lehnen die Todesstrafe klar und deutlich ab«, unterstrich der hessische SPD-Chef.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, sprach von einem »Akt der Barbarei«. nd/dpa

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