Unwissend oder/und unwillig?
Antwort nach »Schema F«: Bundesregierung weiß wieder einmal nichts über militante Nazi-Netzwerke
Am 29. Oktober 2015 verbot der hessische Innenminister die Neonazi-Vereinigung »Sturm 18 e.V.«, weil die »sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und die Gedanken der Völkerverständigung« richtete. Schon die Zahl im Namen beschreibt die Orientierung. Sie bezeichnet den ersten und den achten Buchstaben im Alphabet: A und H. Adolf Hitler als Vorbild.
Fast 300 Straftaten wurden dem Verein und seinem Umfeld zugeordnet, bei Durchsuchungen fand man Waffen. Niedersachsens Verfassungsschutz bescheinigt der Neonazi-Kameradschaft »gewachsene Verbindungen« zu gleichartigen Szenen in Süd-Niedersachsen und ins westliche Thüringen. Auch Verbindungen zur NPD soll es geben. Zudem sollen Verbindungen zu sogenannten Sicherheitsunternehmen bestehen, einer der Führer war sogar als Wachmann in einer Flüchtlingsunterkunft beschäftigt. Auch Hinweise auf Verbindungen zum damaligen Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) gibt es.
Das alles deutet wahrlich nicht auf eine kleine, nur regional agierende Gruppe von übermütigen Freizeit-Nazis hin. Deshalb wollte die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, die die Linksfraktion als Obfrau im zweiten NSU-Ausschuss vertritt, von der Bundesregierung wissen, was die zum Wirken des »Sturm 18« ermittelt hat. Das, was Pau als Antworten auf ihre 21 detailliert begründeten Fragen erhielt, nährt den Verdacht: Entweder sind die zuständigen Behörden unwissend oder zu faul. Möglicherweise trifft auch beides zu, angesichts der übermittelten dürren Fakten muss eine Bewertung schwer fallen.
Bestätigt wird, dass die Gruppierung »Sturm 18«, ebenso wie einzelne ihr angehörenden Personen, mehrfach im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) »behandelt« wurden. Sowohl vor wie nach dem Verbot der Gruppe. Doch die Behandlung, so entnimmt man den folgenden Antworten, kann nicht sehr intensiv gewesen sein. Die Bundesregierung verweist auf die alleinige Zuständigkeit des Landes Hessen und meint, dass der »Sturm 18« nicht deutschlandweit verbreitet sei. Zwar versuchte der seinerzeitige Vereinsvorsitzende unter dem Namen »AD Jail Crew« (über deren Wirken auch »nd« berichtete) ein bundesweites Netzwerk inhaftierter Rechtsextremisten aufzubauen, doch konnte dessen Existenz »nicht festgestellt werden«.
Pau fragte auch, was die zuständigen Bundesbehörden über Verbindungen von »Sturm 18« zur »Oldschool Society« wisse. Die Enttarnung dieser Organisation führt der Verfassungsschutz selbst als eine besondere Leistung an. Dennoch wolle die Regierung sich nicht dazu äußern, um - wie sie sagt - ein laufendes Ermittlungsverfahren nicht zu stören.
Über Beziehungen in Richtung NSU lägen der Bundesregierung »keine Erkenntnisse vor«, gibt das zuständige Innenministerium Auskunft. Und was beim derzeitigen NSU-Prozess in München zum »Sturm-Thema« zur Sprache kam, wolle man nicht bewertet - »um jeden Anschein einer versuchten Einflussnahme auf die Hauptverhandlung… zu vermeiden«.
Vorsichtshalber zieht man sich bei anderen Fragen auf die Position zurück, dass eine ordentliche Antwort »das Wohl des Bundes oder eines Landes gefährde« und Quellen aufdecken könnte. Man sei dem »Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit der jeweiligen betroffenen Personen« verpflichtet. Derartige Antworten sind inzwischen ministerieller Standard, wenn sich Sicherheits- und Geheimdienstbehörden vor Antworten auf Abgeordnetenfragen drücken wollen.
Sieben Seiten pure Verweigerung. Eine ähnliche amtliche Missachtung des Parlaments war Petra Pau vor einigen Tagen zugegangen. Da hatte die Abgeordnete nach Neonazi-Netzwerken in Franken gefragt.
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