Professionell, aber nicht langweilig
Das Schwule Museum feiert seinen 30. Geburtstag mit einem »Tapetenwechsel«
Neue Frisur, neue Kleider, neue Wohnung. Ein dreißigster Geburtstag stürzt manchen in die Midlife-Crisis, alles Bisherige wird über den Haufen geworfen, Mensch und Lebensentwurf unterziehen sich einer Komplett-Überholung. Auch das Schwule Museum feiert seinen dreißigsten Geburtstag mit einem Tapetenwechsel. Aber kein solcher, bei dem alles Alte auf dem Müll landet. Im Gegenteil, neue Wandfarben zwar, aber für alte Objekte. Das Museum schaut zurück auf seine Geschichte, Kurator Wolfgang Theis hat im Archiv gestöbert und zutage gefördert, was sich dort in den letzten Jahren angesammelt hat. Daraus fügt sich eine schwule Geschichte. Eine ganz eigene Perspektive auf vergangene Jahrzehnte, die in anderen Ausstellungen selten Beachtung findet. Genau das war vor dreißig Jahren der Grund für die Museumsgründung. Die öffentliche Darstellung einer eigenen Geschichte, eine Deutungshoheit über sonst meist heterosexuell interpretierte Kunst und Objekte.
Lange hat das Schwule Museum gekämpft, beengt und unscheinbar untergebracht in einem Hinterhaus am Mehringdamm, vor zwei Jahren zog es in die großzügigen Räume in der Lützowstraße. Die Ausstellung »Tapetenwechsel« zeigt Subkultur, das Museum selbst wirkt längst nicht mehr wie eine solche. Statt improvisiert, chaotisch, provokativ präsentieren sich die Ausstellungen in den neuen Räumen sachlich und professionell.
Die Ausstellung »Tapetenwechsel« zeigt die Ups und Downs schwuler Geschichte, die Widersprüche, Klischees und Trash, genauso wie Dokumente politischer Auseinandersetzungen. Ein politischer Kampf, der oft Hand in Hand mit antikapitalistischen und antipatriarchalen Bewegungen ging, aber auch Differenzen zu Tage förderte, Bündnisse schloss und wieder auflöste - in den meisten Darstellungen der Historie aber fehlt der schwule Part.
Im Archiv des Schwulen Museums haben viele Dokumente aus dieser Zeit geschlummert, aus der Zeit der Homosexuellen Aktion Westberlin - Flugblätter, Plakate, Protokolle von Plenumssitzungen. Eine geballte Faust auf einem Plakat von 1973 gegen den Paragraphen 175, der noch bis 1994 sexuelle Handlungen unter Männern verbot. Das antikapitalistische Motiv sorgte seinerzeit für Streit. Den bürgerlichen Schwulen war die Faust zu links, der von ihnen vorgeschlagene Pfeil wurde von den studentischen Teilen der Bewegung abgelehnt. Oder Texte über die Diskussion in einer lesbischen Gruppe, ob - wie in den USA - auch in Deutschland öffentliche »Kiss-Ins« veranstaltet werden sollten, oder ob - so das Gegenargument - viel wichtiger als die öffentliche Provokation das Bekenntnis zur Homosexualität am Arbeitsplatz sei.
Kurator Theis und seine Mitstreiter fügen die vielen Archivschätze - Fotografien, Zeichnungen, Dokumente und Installationen, die teilweise jahrelang im Keller verstaubt sind, zu einer Geschichte, zu einem umfassenden Bild zusammen. Und das, obwohl sich bei vielen Objekten eine Verbindung zur Homosexualität nicht unmittelbar aufdrängt. Ein Porträt von Lenin beispielsweise, Schallplatten von Schlagerikonen, Bilder von Marlene Dietrich. »Tapetenwechsel« zeigt, dass es zu all diesen Dingen eigene schwule Assoziationen gibt.
Seit jeher musste sich das Museum mit dem Vorwurf auseinandersetzen, mit der Darstellung einer eigenen schwulen Perspektive auf Leben und Geschichte die eigene Abschottung zu unterstützen. Dabei kann es für Heterosexuelle nur ein Mehrwert sein, beim Anblick von Lenin auch einen Gedanken an Homosexualität in der Sowjetunion zu verschwenden oder zu erfahren, warum Marlene Dietrich als eine der Wenigen gleichsam für Schwule und Lesben zum Idol wurde. Auch in Sachen Sex kann der gemeinhin als eher prüde verschriene Hetero hier vielleicht etwas lernen.
Sex ist im Schwulen Museum präsent, überall und immerzu, auch in der Darstellung des politischen Kampfes. Der Künstler Tino Bierling zeigt in seinen Karikaturen den politischen Schwulen als einen, dessen Kampf getrieben ist durch die Lust auf Sex. Sex in allen seinen Formen, zweisam und romantisch, gewaltvoll oder fetischistisch. Mancher mag die Fotografien von SM-Praktiken, die Fotoreihen von Oralsex oder wildem Geschlechtsverkehr auf dem Küchentisch zu pornografisch finden. Aber die schonungslos offene Darstellung von Sexualität ist ein zentraler Teil schwuler Emanzipation und Kunst.
Auf den knallig blauen und rosa Tapeten findet all das seinen Platz. Der Rückblick auf den neuen Tapeten ist nicht übertrieben trashig oder provokativ, aber trotzdem jung und bunt - professionell, aber nicht langweilig. Keine Schönfärberei, sondern sachliche Auseinandersetzung mit allen Kapiteln der schwulen Geschichte: Die Aids-Krise in den 1980er Jahren, die niemals verschwundenen Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit den Feministinnen, die Beteiligung Schwuler an historischen Verbrechen wie dem Holocaust.
Dass schwule Geschichte mitunter eine ganz eigene ist und nicht bloß ein Anhängsel linker Bewegungen, zeigt eine Installation zum Paragraphen 175. Über der rot durchgestrichenen Zahl hängt ein Bild von Helmut Kohl. Ein Befreier der Schwulen, denn in seiner Amtszeit wurde der Paragraph abgeschafft. Fotos von Helmut Schmidt und Willy Brandt liegen zerknüllt auf dem Boden, die Sozialdemokraten hatten zuvor versäumt, was letztendlich Kohl für die Schwulen tat.
Tapetenwechsel - Ein Streifzug durch 30 Jahre Sammelgeschichte. Bis 12. Mai, Schwules Museum, Lützowstr. 73, Tiergarten. So, Mo, Mi, Fr 14-18, Do 14-20, Sa 14-19 Uhr.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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