Jetzt ist Abtanzen angesagt

Polizisten fordern bessere Strafverfolgung, eine Schwachstelle heißt Staatsanwaltschaft

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Ermittlungen zu den Silvestervorkommnissen auf der Domplatte und zum eklatanten Versagen der Polizei stehen in Köln an. Schlussfolgerungen muss man bundesweit ziehen, verlangen Experten.

Noch ist es zu früh für eine gründliche Analyse dessen, was da auf der Kölner Domplatte stattgefunden hat. Es ist festzustellen, wie es zu dem eklatanten Versagen der Sicherheitskräfte kommen konnte. Karl Radek, Vizechef der Gewerkschaft der Polizei, hört solche Vorwürfe nicht gern, doch er hat Recht, wenn er sagt, dass man auch allgemeine Schlussfolgerungen für die Kriminalitätsprävention und -bekämpfung ziehen müsse. Natürlich kenne man «die Strategie des ›Antanzens‹ durch kriminelle Gruppen», bei dem Bürgern Wertvolles aus der Tasche gezogen wird - seit Jahren. «Doch bislang ging es um Eigentumsdelikte. Diese widerwärtigen sexuellen Übergriffe sind neu.» Dringend müsse man durch seriöse Ermittlungen herausfinden, «ob wir es mit einer neuen Strategie zu tun haben». Abtanzen sei angesagt.

Das sieht Kriminaldirektor Ulf Küch, Leiter der Kriminalpolizei aus Braunschweig und Vizechef des Bundes der Kriminalbeamten, ebenso. Doch er fügt hinzu: «Das Schlimme ist, dass der Staat keine Strategie entwickelt.» Seit Jahren werde das von Polizisten kritisiert. Es helfe überhaupt nicht, wenn jetzt der Bundesjustizminister «eine harte Antwort gegen diese angeblich neue Form der Organisierten Kriminalität» (OK) fordert. Maas habe «keine Ahnung, das hat mit OK nichts zu tun», sagt Küch. Man habe es weder mit der italienischen Ndrangheta noch der Russenmafia oder den chinesischen Triaden zu tun. «Wohl aber mit international bestens vernetzten Banden, die, oft aus dem nordafrikanischen Raum oder aus Richtung Kosovo kommend, höchst arbeitsteilig vorgehen.»

Es gibt in Deutschland zwar viele Polizisten, die im Alltag mit einzelnen kriminellen Gruppen zu tun haben, doch nur wenige, die sich in der Struktur der Verbrecherorganisation auskennen, ihre Logistik durchschauen, wissen, wer wo die Bandenmitglieder rekrutiert und wann wohin ausschickt. Beispielsweise an Silvester nach Köln. Offenbar weiß man nichts über die Kriminellen, die in Köln Horror erzeugten. «Jetzt einfach die Flüchtlingskarte zu ziehen, halte ich für einen verheerenden Fehler», so Küch.

Das sieht Oliver Huth vom Landeskriminalamt in Nordrhein-Westfalen sicher ähnlich, geht jedoch einen Schritt weiter: Keiner werde als Taschendieb geboren, betont er. Doch es sei aus der Praxis bekannt, «dass nicht nur Organisationen, die im Fokus des Verfassungsschutzes stehen, zielgerichtet Kontakt zu Asylbewerbern aufnehmen. Auch Kriminelle versuchten die Situation einzelner Flüchtlinge auszunutzen. In Einzelfällen könnten sie die zu Straftaten anstiften, ausbilden und ausrüsten.

Es gehe zumeist nicht »um das Überleben von armen Kerlen, die sich etwas zu essen kaufen möchten«, weiß Küch. Das sei alles straff organisiert. »Geklaute, hochwertige Waren werden mit UPS nach Nordafrika oder Kaukasien versandt und dort zu Geld gemacht.« An die Hintermänner, die vermutlich im Ausland Fäden ziehen, »kommen wir nicht ran«. Man könne das Pferd nur von hinten aufzäumen, also »an jene massiv rangehen, die wir erwischen«. Dabei sei die Herkunft der Beschuldigten völlig egal. »Wer kriminell ist, wird auch wie ein Krimineller behandelt.«

Der Kripochef wirbt dafür, dass Staatsanwaltschaften besser mitziehen. »Die versuchen, solche Verfahren von sich zu drücken.« Hat ein Staatsanwalt erst einmal so eine Akte übernommen, hat er sogleich ein umfangreiches Sammelverfahren auf dem Tisch, also Fälle aus der ganzen Republik. Solange die Justiz ihre Aufgaben nicht erfüllt - Küch schließt ausdrücklich die Gerichte mit ein -, »ziehen diese Banden weiter relativ unbehelligt auch durch Deutschland«, warnt der Kriminaldirektor, wohl wissend, wie knapp auch Staatsanwaltschaften besetzt sind.

Ein Ausweg könnten sogenannte Schwerpunktstaatsanwaltschaften zur Bandenkriminalität sein, wie sie zu anderen Deliktfeldern bereits existieren, bestätigt Radek. Er stimmt auch zu, dass man die Zusammenarbeit zwischen einzelnen Polizeien verbessern kann und muss. Da es um internationale Kriminalität geht, reichen die üblichen Verbindungsbeamte des Bundeskriminalamtes nicht aus. Europol müsste zu einem Ansprechpartner werden. In Sachen Terrorismus »klappt das doch auch«.

Küch dagegen wäre mit weniger zufrieden. Der Beamtenapparat der Polizei ist ihm oft zu unbeweglich. »Gegen diese Form der Kriminalität, die nun nach Köln ganz andere Dimensionen erfahren hat, kommt man mit der klassischen Organisationsstruktur nicht an.« In Braunschweig habe man vor einiger Zeit eine Sonderkommission gebildet, die Justiz ziehe mit. Es zeigt sich, dass das bestehende Strafrecht völlig ausreicht. Anfangs habe man bei manchem den Verdacht der Ausländerfeindlichkeit erregt. »Das ist totaler Unsinn und Kritiker sehen das inzwischen auch ein.« Doch man sollte nicht glauben, dass es außerhalb von Braunschweig »eine große Lust gibt, die Grundlagen des Erfolgs zu kopieren«.

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