Wie im Rausch
Jan Böhmermann und Olli Schulz bitten zur gemeinsamen TV-Talkshow
Staatsgewalt und Anarchie waren einst höchst unterschiedlich gekleidet. Wer das System mit aller Macht stützte, trug gemeinhin Zwei- bis Dreiteiler, vornehmlich mit Krawatte. Wer dagegen rebellierte, eher Kapuzenpulli und Jeans, vornehmlich in schwarz. Mittlerweile jedoch sehen sich Umsturzwillige und Besitzstandwahrer nicht nur oft zum Verwechseln ähnlich, sie sind gelegentlich gar deckungsgleich. So wie Olli Schulz und Jan Böhmermann.
In feinem Anzug, schmal geschnitten und farblich gedeckt, mischen die Moderatoren das Fernsehen auf, als wollten sie es vom Erdboden fegen wie eine Tyrannei. Zugleich aber verteidigen sie das Fundament jenes eingestaubten Leitmediums, das die zwei im subversiven Furor ihres Bildersturms erneuern sollen, als seien sie nicht renitent, sondern Heilsbringer. Seltsam. Und, Pardon, irgendwie alternativlos. Niemand sonst als der respektlose Humorberserker aus Hamburg (Schulz) und sein Bremer Kollege mit dem zynischen Charme (Böhmermann) haben schließlich das Talent, die Frechheit und den nötigen Atem, Deutschlands TV-Unterhaltung nachhaltig zu retten. Das Besondere daran: Man lässt sie sogar. Und zwar gemeinsam - endlich!
Nachdem sie mit der Kraft ihrer kreativen Kaltschnäuzigkeit getrennt sämtliche Kanäle des multimedialen Zeitalters zur Bühne ihrer gewaltigen Egos gemacht und gemeinsam das gute alte Radio Berlin-Brandenburg als »Sanft & Sorgfältig« unterwandert haben, dürfen Olli & Jan am Bildschirm gemeinsam tun, was sie besonders gut können: Reden. Mit ihren Gästen. Vor allem aber mit sich selbst. »Schulz & Böhmermann« heißt das neue Talkformat ab kommenden Sonntag; und es wirft abgesehen von der bemerkenswerten Existenz dieses Formats an sich erneut ein trübes Licht aufs ZDF, dass es sein zukunftstauglichstes Zugpferd sonntags um 22.45 Uhr im Spartenkanal ZDFneo und dann auch noch als Konserve versendet.
So sehr die Gremlins in den Lerchenberger Gremien ihren Nachwuchs(Böhmer)mann nämlich zu schätzen wissen, so sehr misstrauen sie ihm, zumal an der Seite des Perpetuum Mobiles anarchistischen Humors (Schulz). Wie gut, dass die zwei da weniger verzagt sind. Zum Auftakt haben sie sich nämlich Gäste eingeladen, die ihre Debattentauglichkeit konfliktgeladen auf die Probe stellen dürften: der narzisstische Wetterfrosch Jörg Kachelmann trifft dabei auf den manipulativen Hochstapler Gert Postel, die es beide mit Deutschlands zurzeit erfolgreichster Drehbuchautorin Anika Decker und dem brutalstmöglichen Gangstarapper Kollegah zu tun kriegen.
Eine energetische Mischung in vertrautem Ambiente: Das Studio nämlich erinnert verteufelt an Jan Böhmermanns viel zu früh verstorbene Talkshow mit Charlotte Roche, die vor ein paar Jahren vor allem damit befasst war, das erstarrte Ritual selbstverliebten Faselns der ewig gleichen Gäste in kreative Gesprächskultur echter Persönlichkeiten zu verwandeln.
Wie Roches damalige Show wird die Sendung von Böhmermann und Schulz von der Kölner Produktionsfirma bildundtonfabrik produziert. Wie damals ist das Interieur optisch entsprechend reduziert und konsequent nostalgisch. Wie damals darf, ja muss beim Reden geraucht und gesoffen werden. Und wie damals dürfte es dabei wie im Rausch zugehen.
Schließlich beweisen die Diskussionsleiter ihre gesamte Medienexistenz über Balancegefühl auf dem schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn. Als betrunkener Außenreporter der Berlinale etwa hat der gelernte Singer/Songwriter Schulz Fernsehgeschichte geschrieben, während Jan Böhmermann mit »Neo Magazin Royale« Woche für Woche beweist, was man dem abgedroschenen Genre Late Night noch abringen kann, wenn man es ernst und zugleich leicht nimmt. So gesehen könnte etwas Großes, Bleibendes entstehen, in fünfmal 60 Minuten, sonntags zu später Stunde im Nischenprogramm. Und falls nicht? Wälzen Schulz & Böhmermann die Sehgewohnheiten eben woanders um. Was bleibt den Verantwortlichen des alten Regelfernsehens auch übrig; sie haben ja sonst keinen.
ZDFneo, 10.1., 22.45 Uhr
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