Kann weg: Konsumenten von Satire
Die widerlichsten Literaturkonsumenten, die aufdringlichsten, bigottesten, gönner- und dünkelhaftesten - sind die Satirekonsumenten
Leser sind an und für sich etwas Unausstehliches. Sie lugen im Schlafanzug und mit Kakaotrünken in der Hand in Bücher hinein, die ihre Verfasser in Lumpen, mit knurrenden Mägen und geborstenen Herzen geschrieben haben. Sie wollen unterhalten und belehrt werden, aber nicht zu sehr; sie wollen bei der Stange gehalten und zugleich als Intellektuelle ernst genommen werden. Sie machen sich viel weniger Gedanken als die Autoren, ja oft überhaupt keine, entscheiden aber über deren berufliche Existenz. Sie behandeln Kunst wie Ware und wollen sich dabei aber noch als besonders aufgeklärt und kulturträgerschaftlich geachtet wissen.
Die widerlichsten Literaturkonsumenten aber, die aufdringlichsten, bigottesten, gönner- und dünkelhaftesten sind die Satirekonsumenten. Denn sie steuern den Markt nicht nur über Kaufverhalten und Rezensionen, nein, sie rücken den Autoren auch mächtig auf die Pelle, nerven sie mit Tipps und guten Worten, grapschen ihnen direkt in die Tastatur. Es ist ganz gleich, für wie liberal, wie weltoffen der Satirekonsument sich erklärt, wie hoch er die Grundsätze der Meinungs- und Kunstfreiheit hält - am Ende kriegt man ihn immer. Vorgeblich freut er sich daran, dass jeder mal eine Backpfeife abkriegt - wenn er selber an der Reihe ist, ist das Geschrei groß.
Es bedarf einer gewaltigen Charakterfestigkeit, eine Watschen mit einem Lächeln entgegenzunehmen, und der Satirekonsument ist letzten Endes ein Weichei, ein Mitläufer, ein Schaulustiger, ein Katastrophentourist. Er freut sich nicht darüber, dass jemand Partei für die Schwächeren ergreift, sondern darüber, dass jemand Stärke zeigt. Er interessiert sich nicht so sehr dafür, wer da Schläge kriegt, als dafür, wie hart sie sind. Vom Satiriker fordert er unerhörte Gewalttaten und Grausamkeiten, ähnlich dem aufgeheizten Boxsportpublikum - noch die am Boden Liegenden sollen ordentlich in die Eier getreten werden. Er glaubt, dass es bei Satire um Kraftmeierei geht, um Härte und Männlichkeit, um eine Härte, die ihm selber fehlt - will er ihr doch stets von außen zusehen. Er begreift nicht, dass es für die Satire kein Außen gibt - für ihre besten Vertreter steht jeder im Ring. Irgendwann ist der Leser, ist der Konsument der Letzte, der steht. Und wie er dann weint, wenn es an SEINE Träume geht, an SEINE Utopien und Lebenslügen! Schlagartig erstirbt in ihm das Bedürfnis nach Kampf und Klassenkeile. »Das trifft die Falschen«, sagt er, wenn er sich selbst meint.
Ja, ich stehe nicht an zu sagen: Die Satire wäre ohne Leser eine bessere.
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