Lieber Yanis: Willkommen in der Bewegung!
Dokumentiert: Offener Brief eines Aktivisten an #DiEM25 Bewegungsgründer Yanis Varoufakis
Lieber Yanis,
seit ein paar Wochen lädst du zur Gründung einer paneuropäischen Bewegung gegen Austerität ein. Am 12. Februar soll es in Berlin mit #DiEM25 los gehen. Diesen Einfall hast du schon bei mehreren Gelegenheiten geäußert. Wie etwa im Oktober bei einem Podiumsgespräch mit anderen weisen Linken in der Berliner Volksbühne. Seitdem lässt mich der Gedanke nicht los, mich mit einem Offenen Brief an dich zu wenden. Sicher und hoffentlich bin ich nicht der einzige. Dein Auftritt und Aufruf hat bei »uns« – das sind bewegungsnahe Linke – für Diskussionen gesorgt. Manche fragen sich, ob Revolution so einfach gemacht werden kann: 12 Euro - und du bist dabei. Woher wusstest du, dass die Deutschen vor dem kommenden Aufstand, vor der Bahnhofserstürmung immer erst eine Bahnsteigkarte kaufen? Aber gut, das sind eher die unseriösen Twitterkommentare.
Ernsthaft wird sich in unseren Kreisen gefragt: Hat sich dieser Varoufakis je mit jemanden aus der Basis der Anti-Austeritätsbewegung in Griechenland, Deutschland und Europa ernsthaft unterhalten, bevor er diesen Aufruf startete? Denkt er nicht, dass auf die gewiefte Idee, eine Bewegung für ein anderes Europa zu kommen, auch schon andere gekommen sind?
Zuerst: eine Lobeshymne an den alternativen Finanzminister
Bevor ich tiefer bohre, darf die obligatorische Lobeshymne nicht fehlen: Nicht nur meine Freund*innen und ich pflegen tiefen Respekt für das von dir Geleistete. Deine Auseinandersetzungen mit Dr. Schäuble werden uns allen in Erinnerung bleiben. Niemand anderes als du konnte ihn den Rand des Wahnsinns treiben, niemand anderes als du konnte die Rolle eines alternativen Finanziministers am besten füllen. Du wurdest zu einem der Symbole der Anti-Austeritätsbewegung. Wichtiger als Alexis, Pablo und all die anderen Sternchen.
Und deine Ideen in deinen Büchern klingen gar nicht mal so unrealistisch: Ein anderes Europa forderst du mit deinem kleinen, aber »bescheidenen Vorschlag zur Lösung der Eurokrise«. Zwar ohne die europäischen Verträge anzugehen, von manchen als »reformistisch« betitelt - aber immerhin ein Alternativvorschlag, der sich traut, den vorpreschenden Plan eines deutschen Europas in Frage zu stellen. Anstatt sich mit einer (vermeintlich) sozialeren Verwaltung der Krise zu begnügen, wie es deine Ex-Genossinnen und Ex-Kollegen tun. Und vor allem sprichst du dich für eine fundamentale Kritik an der herrschenden politischen Ökonomie aus, wie sie an den Universitäten gelehrt wird. Insbesondere dafür ein großes »Like« an dich. Zwar sagten einige, du hättest dich immer in den Vordergrund gedrängt, aber vielleicht hast du nur aufgezeigt, dass sich jemand trauen muss. Und hast bei dir selbst angefangen. Auch ein neuer linker Populismus muss geübt sein.
Ein paar Reisetipps für Berlin
Für deine weitere Reise nach Berlin möchte ich dir aber ein paar Tipps mitgeben. Du willst dich ja anscheinend in einem dir unbekannten Terrain bewegen, weit weg von Parlamenten und Wirtschaftsinstituten, du möchtest das »Europa von unten« ansprechen und aktivieren.
Dabei solltest du beachten, dass soziale Kämpfe und die Auseinandersetzung um Hegemonie im Krisendiskurs schon seit Beginn der Krise der kapitalistischen Innovationsoffensive im Gang sind. Dazu musst du nicht weit schauen, sondern es reicht der Blick auf Griechenland selbst: die Student*innenproteste 2006-2007 gegen die Neoliberalisierung der Universitäten, der kompromisslose Aufstand des an den Rand gedrängten Teils der Gesellschaft im Dezember 2008, die Generalstreiks mit Hunderttausenden Menschen auf der Straße, die Bewegung der Empörten und die Syntagma Besetzung. Die von linken Akademiker*innen richtig beobachtete Erschöpfung der Massenproteste eröffnete neue Diskussionen in der Linken: Partei oder Selbstorganisierung? Oder beides? Solidarität wird in Griechenland längst nicht nur als Selbsthilfe oder Charity betrieben, sondern mit einer Vision der Transformation der gesellschaftlichen Beziehungen, hin zu einer anderen Verwaltung des Gemeinsamen. Ähnliche Debatten wurden und werden in Spanien und in weiteren Ecken dieser Welt geführt. Die Entscheidungen von Tsipras und SYRIZA entfachten weitere fundamentale Fragen, die du ja auch selber stellst: Wie die EU verändern ohne sie zu verlassen? Warum sind wir so verdammt ratlos und reden seit dem Sommer vergangenen Jahres nur von »Niederlage«?
Widerstand im »Herzen der Bestie«
Aber zurück zu Berlin und Deutschland: Stell dir vor, auch hier gab es Versuche, der Propaganda gegen die »faulen Griechen« der Medienindustrie und Politik etwas entgegenzusetzen. Hier, im sogenannten »Herzen der Bestie«. Vielleicht waren unsere Proteste nur ein bis zwei kleine Piekser, die den herrschenden Diskurs wenig beeinflussen konnten; erinnert sei hier an die solidarischen Rauchsignale aus Frankfurt nach Athen bei den Blockupy Protesten gegen die Eröffnung der EZB im März 2015 oder die #thisisacoup-Demonstrationen nach dem Referendum, dem letztlich gescheiterten Ereignis.
Und: Seit Jahren finden schon Austauschreisen griechischer und deutscher Aktivist*innen statt. Wir sind Leute, die weiterhin zu verhindern versuchen, dass in Europa nur deutsch gesprochen wird: Blockupy, Griechenland Solidaritätskomitees, Krisenmigrant*innen, progressive Teile der Linkspartei und anderer Clubs, Kultur-und Theaterszene und viele weitere. Vielleicht hat es dir nie einer deiner deutschsprachigen Partner erklärt: Aber es gibt Leute, die schon vorher auf die Idee gekommen sind, dass wir eine transnationale Vernetzung brauchen, ja gar eine Bewegung von unten. Und damit ist nicht der Plan B eines Oskar Lafontaines gemeint.
Europaweite Netzwerke gibt es schon!
Die jeweiligen Initiativen aus Deutschland sind auch über die Grenzen hinaus vernetzt. Es gibt viele europaweite Foren, denen zuzuhören es sich lohnt: Blockupy International, Altersummit, die transnationalen Agora-Treffen, antirassistische Vernetzungen, Kämpfe für einen transnationalen sozialen Streik, vernetzte ökosoziale Kämpfe von Nantes über Val de Susa nach Chalkidiki. Unterhalte dich mal mit Genoss*innen in Griechenland: Auch sie wissen darüber Bescheid, auch sie sind Teil der transnationalen Netzwerke. In Frankfurt gingen wir alle zusammen auf die Straße.
Wir müssen nicht immer wieder bei Null anfangen. Aber: Es muss was zusammen kommen für eine wirkliche Bewegung.
Daher vier direkte Bitten an dich:
- Komm zum Ratschlag des Blockupy Bündnisses, der kurz vor deinem Besuch in Berlin stattfindet, am 6. und 7. Februar. Oder wende dich zumindest in irgendeiner Form an ihn.
- Lass die Finger von irrelevanten Plan B Konferenzen. Bewegung wird nicht von oben gemacht.
- Erstelle für dich eine kleine Kartographie sozialer Widerstände und transnationaler Netzwerke in Europa. Blockupy würde dir da bestimmt behilflich sein. Glaub mir, es lohnt sich!
- Sprich direkt mit den Leuten: Viele beschwerten sich, dass sie in der Volksbühne nicht zu Wort gekommen sind. Vor allem du kannst die Veranstaltungen, an denen du teilnimmst, mit bestimmen und öffnen.
Der Ansatz, auf eine paneuropäische Bewegung zur Veränderung der Verhältnisse zu setzen, ist richtig – vorausgesetzt, bestehende Strukturen werden eingebunden. Willkommen in der Hölle der sozialen Bewegungen.
Solidarische Grüße,
John Malamatinas
P.S. Hier meine email, falls du reagieren möchtest: john.malamatinas[at]riseup.net
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