Den Worten sollen Taten folgen

Gewerkschafter sehen Probleme bei der Integration von Flüchtlingen - aber auch Lösungen

  • Hans-Gerd Öfinger, Mainz
  • Lesedauer: 4 Min.
Sprach- und Kulturbarrieren erschweren Flüchtlingen den Arbeitseinstieg. Betriebs- und Personalräte können bei der Integration helfen, so das Fazit einer Tagung.

Wie können Flüchtlinge in die Arbeitswelt integriert werden und welche Rolle Betriebs- und Personalräte dabei spielen? Diese Fragen standen im Mittelpunkt der Jahresauftaktveranstaltung des ver.di-Landesbezirks Rheinland-Pfalz-Saar am Donnerstag in Mainz. Dabei tauschten knapp 100 Gewerkschafter Erfahrungen aus und formulierten ihre Forderungen an die Politik.

Eine große Hilfsbereitschaft der Bevölkerung für die ankommenden Flüchtlinge, aber auch Ängste und Sorgen diagnostizierte Christine Gothe, Vizechefin im ver.di-Landesbezirk. Sie erinnerte daran, dass die bundesdeutsche Politik bei der Zuwanderung von Gastarbeitern in den 1960er und 1970er Jahren Integrationsaufgaben nicht ausreichend angepackt habe. Umso mehr komme es heute darauf an, die Integration der neu Ankommenden konsequent voranzutreiben.

Den Bekenntnissen zur Integration müssten schnell Taten folgen. Dabei sei die Unterfinanzierung des Öffentlichen Dienstes unübersehbar. Angesichts des von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verkündeten Haushaltsüberschusses in Höhe von zwölf Milliarden Euro sei es nun eine «spannende Frage, »ob dieses Geld für Integration und sozialen Wohnungsbau ausgegeben wird«, so die Gewerkschafterin. Jeder Euro, der jetzt an Integrationsmaßnahmen gespart werde, »wird später mehrfach für Problemlösungen wieder ausgegeben werden müssen«, warnte sie.

Gothe unterstrich die Gewerkschaftsforderung, per Gesetz die Einrichtung von betrieblichen Integrationsbeauftragten in Betrieben und Dienststellen mit mehr als 500 Beschäftigten vorzuschreiben. Damit könnten die interkulturelle Zusammenarbeit gefördert und Benachteiligungen vermieden werden, so die Gewerkschafterin.

Aber was sollten und können betriebliche Interessenvertreter auch ohne Gesetz tun, um Flüchtlinge in die Arbeitswelt zu integrieren? Sabine Janzen, Juristin beim ver.di-Landesbezirk, wurde konkret: So sollten Stellenausschreibungen über die Agentur für Arbeit laufen und nicht über private Vermittler. Betriebs- und Personalräte sollten ihre Mitbestimmungsrechte konsequent wahrnehmen und darauf achten, dass Flüchtlinge überhaupt eine Chance auf Anstellung bekämen. »Integration heißt nicht Flüchtlinge vorziehen, sondern gleich behandeln«, stellte Janzen klar. »Nicht jeder gute Handwerker fasst eine tolle Bewerbung ab«, riet sie zu Kulanz im Umgang mit sprachlichen Unzulänglichkeiten und Formfehlern in Bewerbungsschreiben. Neueingestellte sollten rasch auf ihre Rechte und die gewerkschaftliche Organisierung aufmerksam gemacht werden.

Janzen empfahl auch, die gesamte Belegschaft frühzeitig über die Hintergründe der Fluchtbewegungen nach Europa aufzuklären und den »Neuen« das Einleben im Betrieb zu erleichtern. »Schafft Räume zum Kennenlernen und Begegnen, schaut frühzeitig auf die individuelle Lage, seid kreativ und konsultiert bei Bedarf Beratungsstellen«, so ihre Empfehlung. Schließlich kämen als Ins- trument zur Bekämpfung von Rassismus auch Betriebsvereinbarungen in Frage.

Thomas Grünert, Personalratsvorsitzender bei der Stadt Ludwigshafen, schilderte die mit großem Elan angepackten Integrationsmaßnahmen vor Ort, die nahezu alle Bereiche der Kommune vor große Aufgaben stellten. Durch Mehrarbeit seien aber auch viele Beschäftigte »am Rande des Machbaren angekommen«. Angesichts der Fülle der Aufgaben habe die Stadt zusätzliche Kredite aufnehmen müssen. 20 Jahre Sparpolitik zeigten in dieser Situation besonders krass ihre negativen Auswirkungen. »Mit betriebswirtschaftlichem Denken werden wir die Welt nicht retten. Wir müssen die Daseinsfürsorge wieder stärken«, so Grünerts Fazit.

Die Gewerkschafter sehen aber auch eine Gefahr von Unternehmerseite: »Flüchtlinge dürfen nicht missbraucht werden, um den gesetzlichen Mindestlohn auszuhebeln«, sagte ver.di-Landesbezirksleiter Michael Blug im Hinblick auf entsprechende Vorschläge aus den Reihen der Arbeitgeber. Zur Kontrolle müssten die zuständigen Behörden endlich ausreichend Personal einstellen. »Wir brauchen statt Schuldenbremse einen leistungsfähigen öffentlichen Dienst, der auch den Sozialen Wohnungsbau ankurbelt«, bekräftigte Blug.

In Gesprächen mit Beschäftigten der Bundesanstalt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sei ihm klar geworden, dass die Bediensteten schon zu Beginn des Bürgerkriegs in Syrien im Jahr 2011 eine starke Zunahme der Flüchtlingsbewegung erwartet hätten. Berlin habe jedoch nicht reagiert. Stattdessen hätten jüngste »populistische Parolen« aus dem Mund von Politikern über eine angeblich unzulängliche Arbeitsleistung der Behörde eine »hohe Frustration der Beschäftigten« ausgelöst, beklagte Blug.

Frustration herrscht auch bei Lehrkräften, die Flüchtlingen im Auftrag des BAMF in Volkshochschulen die für eine Integration unabdingbaren Deutschkenntnisse vermitteln. So weist der ver.di-Bezirk Wiesbaden in einer Resolution auf beklagenswerte prekäre Arbeitsbedingungen dieser hoch qualifizierten Fachkräfte hin. Viele hangelten sich seit Jahren von Honorarvertrag zu Honorarvertrag und seien später mit Altersarmut konfrontiert, heißt es in dem Papier. Weil Bildung Teil der Daseinsvorsorge und zudem Ländersache sei, müssten nun auch die Länder die Verantwortung für die Anstellung dieser Lehrkräfte übernehmen und sie zu annehmbaren Bedingungen - etwa wie Lehrer an öffentlichen Schulen - anstellen, so die Forderung von ver.di Wiesbaden.

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