Inferno in der Hafenstraße
In Lübeck sind die vor 20 Jahren getöteten Asylbewerber unvergessen / Demo am Sonnabend
Flüchtlinge sind zum aktuellen Hauptthema der Nachrichten geworden. Gerade in Lübeck in Schleswig-Holstein sind die Menschen dafür besonders sensibilisiert. In der Hansestadt wirkt der bis heute nicht aufgeklärte Brandanschlag von 1996 in der Hafenstraße 52 wie eine Mahnung, Geflüchteten beizustehen. Bei dem Brand kamen zehn Asylbewerber ums Leben, 38 wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt. Am 18. Januar jährt sich die schreckliche Tat zum 20. Mal. Eine Demonstration, die jährliche Gedenkfeier und Informationsveranstaltungen halten die Erinnerung wach.
Was außerdem bleibt, ist die Wut auf den oder die Täter - und auf polizeiliche wie staatsanwaltliche Ermittlungen, die diesen Namen nicht verdient hatten. Nach Aufdeckung der NSU-Mordserie gab es genügend Ansatzpunkte, den Fall Hafenstraße 52 wieder komplett neu aufzurollen. So wie dies jetzt beispielsweise - wenn auch nach jahrzehntelangem Drängen - gerade zum Münchner Oktoberfestattentat 1980 passiert. Doch Schleswig-Holsteins damaliger Justizminister Emil Schmalfuß (parteilos) lehnte Anfang 2012 entsprechende Forderungen nach Wiederaufnahme von Ermittlungen in Sachen Hafenstraße kategorisch ab.
Für Aktivisten aus dem Lübecker Flüchtlingsforum und anderen in der Flüchtlingsarbeit engagierten Gruppen ist der Anschlag ebenso unvergessen wie die zwei Prozesse gegen den Libanesen Safwan Eid, der zum Tatzeitpunkt mit seiner Familie im Brandhaus lebte. Er landete auf der Anklagebank, weil ein Sanitäter während der dramatischen Rettung eine Selbstbezichtigung des jungen Mannes zur Tat gehört haben wollte. Und weil ein von der Polizei abgehörtes Gespräch nachweislich falsch übersetzt wurde, was Eid ebenfalls als vermeintlichen Täter hinstellte. In zwei Instanzen wurde der Libanese freigesprochen - eine schallende Ohrfeige für die behördlichen Ermittler. Auch internationale Prozessbeobachter wunderten sich damals, warum sich Polizei und Staatsanwaltschaft hartnäckig weigerten, nach der Tat publik gewordenen Erkenntnisse über ein verdächtiges Quartett aus der rechten Szene von Grevesmühlen mit ähnlicher Vehemenz zu verfolgen. Das gipfelte darin, dass das Tatgeständnis eines jener Neonazis kein Glauben geschenkt wurde.
20 Jahre nach dem Brandinferno sind Fremdenfeindlichkeit und die damit verbundene Hetze hierzulande ausgeprägter denn je, und unzählige Angriffe auf Asylbewerber und deren Unterkünfte gehören zum traurigen Alltag. Auch Lübeck war im Vorjahr davon nicht ausgenommen. Daher wird am Sonnabend zur Demonstration unter dem Titel »Damals wie heute - rassistischer Kontinuität entgegentreten« aufgerufen. Start ist um 10 Uhr am Lübecker Hauptbahnhof. Die Organisatoren rechnen mit weit über 1000 Teilnehmern.
Der Aufzug wird sich auch gegen die neuerlichen Verschärfungen des Asyl- und Ausweisungsrechts wenden. Das Flüchtlingsforum will zudem allen Vorschlägen von Lübecks Bürgermeister Bernd Saxe (SPD) eine deutliche Absage erteilen, die auf Massenabschiebungen hinauslaufen. Saxe will für die Abschiebungen den insolventen Lübecker Flughafen Blankensee nutzen, der die Stadt derzeit viel Geld kostet. Nachdem Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) schon die Einrichtung eines Abschiebezentrums auf dem Airport Fuhlsbüttel angekündigt hatte, biedert sich Saxe nun mit seinem Vorstoß bei der Kieler Landesregierung an.
Der stillere und emotionalere Teil des Gedenkens an die Opfer von 1996 findet wie jedes Jahr unmittelbar am 18. Januar um 18 Uhr statt. Treffpunkt ist die Erinnerungsstele an der Ecke Hafenstraße/Konstinstraße. Mit dabei sein werden Überlebende des Anschlags und Angehörige der Opfer des Verbrechens vor 20 Jahren.
Weitere Informationen im Netz unter: www.hafenstrasse96.org
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