Die gestalterische Sehnsucht des jungen Revolutionärs
Die Ausstellung »Max Schwimmer - Im Banne des Expressionismus« zeigt wiederentdeckte Werke des Malers und Grafikers
In der heutigen Zeit, in der alles belegt, erforscht, dokumentiert und ergoogelbar zu sein scheint, ist es für Kunstinteressierte ein Anlass zur Freude, wenn Galerien noch mit wirklichen Entdeckungen und Ausgrabungen aufwarten können. Die Düsseldorfer Galerie Remmert und Barth, spezialisiert auf den deutschen Expressionismus, den Verismus und die Neue Sachlichkeit, zeigt anlässlich des 120. Geburtstages Max Schwimmers eine solche Ausgrabung: 44 Aquarelle, Zeichnungen und Holzschnitte des 1895 in Leipzig geborenen Künstlers sind zu sehen.
Schwimmer schuf diese Werke zwischen 1918 und 1919. Es sind Arbeiten, die in der Schwimmer-Aufarbeitung keinen Niederschlag fanden. Wie sollten sie auch, lagen sie doch Jahrzehnte gut verpackt, aber wohl nicht gesichtet, bei Tochter und Enkelin des Galeristen und Arztes Hans Koch, der im August 1919 in seinem Düsseldorfer Grafischen Kabinett die Ausstellung »Leipziger Expressionisten - Rüdiger Berlit, Max Schwimmer« zeigte. Hans Koch war offensichtlich nicht nur daran interessiert, Kunst zu präsentieren, die ihm wichtig war, er war wohl auch als Sammler sein bester Kunde. Die nun zu sehenden Werke Schwimmers gehörten zur Sammlung Kochs. Mit großer Sicherheit ist zu sagen, dass die entdeckten Arbeiten Schwimmers identisch mit denen sind, die 1919 in Düsseldorf zu sehen waren.
»Erschrecken Sie nicht: ich habe mich ganz und gar dem Expressionismus verschrieben. Mein Fühlen und Wollen ist so geartet, dass ich nicht anders kann«, schreibt Max Schwimmer 1917 an Hermann Junghans. Im expressiven Gestus fand er vorerst die künstlerische Ausdrucksform, die seinem inneren Zustand von Aufruhr, Zerrissenheit und Suchen nach neuen Wegen in Kunst, Kultur und Gesellschaft entsprach. Die revolutionären Aufbrüche der Soldaten, Arbeiterinnen, auch nicht weniger Künstler, Autorinnen und Theaterleute gegen den Krieg, die Monarchie, rissen ihn mit. Er wird 1918 in der Novemberrevolution aktiv. Schneidet und druckt u.a. Holzschnitte für Franz Pfemfers Wochenschrift »Die Aktion«.
Die in Düsseldorf zu sehenden Blätter schuf Max Schwimmer im Alter von 23, 24. Sie verweisen auf den inneren Zustand des Künstlers. Nervös, den Wirrnissen, Verunsicherungen, aber auch Aufbrüchen der Zeit entsprechend, bringt er in zackigen, ja schmerzhaften Liniengespinsten zeichnend seine Menschenbilder aufs Papier. Kein romantisierendes, idealisierendes Menschenbild tritt uns da entgegen. Bei Oskar Kokoschka, Conrad Felixmüller, George Grosz und anderen Zeitgenossen finden wir eine ähnliche Linienführung. Dieses Zeichnen hatte noch nichts von der Leichtigkeit, Zartheit, Poesie und Erotik der späteren Werke. Andeutungen in diese Richtung sind eher in den Aquarellen der Ausstellung zu finden. Sie sind in ihrer Farbigkeit, in ihrer freien Pinselführung und Thematik, die zum Teil Auflösungen realer Formen ins Kubistische und Abstrakte beinhalten, Hinweis darauf, dass in dem jungen Revolutionär noch eine andere gestalterische Sehnsucht und Lebenssehnsucht schlummerte. Seine Holzschnitte tragen zum Teil lapidare Titel: »Kopf nach links«, »Kopf nach rechts« oder »Prophet« und »Heiliger«. Archaisch, grob verweisen sie in ihrer absolut reduzierten Form auf den formgebenden Einfluss schwarzafrikanischer Masken, Skulpturen im Expressionismus.
Was Schwimmers Kunst und gesellschaftliche Intentionen, Hoffnungen betrifft, war er, links ambitioniert, ein Suchender. Der Aufruhr in ihm und um ihn war stilbildend. Die expressionistische »Oh Mensch«-Gebärde zum Ende und nach dem Ersten Weltkrieg - bei ihm ein glaubwürdiger Gestus. Nach 1945 gehörte Max Schwimmer als Illustrator in der DDR zu den Säulen der Buchkunst. Seine Zeichnungen, oft zart aquarelliert, zu zum Beispiel Heinrich Heine, Wolfgang Goethe, Arthur Rimbaud, Honoré de Balzac und Wladimir Majakowski sind Meilensteine der Buchkunst und Illustration.
Bis 26. Februar, Galerie Remmert und Barth, Mühlenstraße 1, Düsseldorf.
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