Wladimirs Denkmal erzürnt die UNESCO
Kreml und Rotem Platz in Moskau drohen die Streichung von der Weltkulturerbeliste
Die Streichung von der Liste des Weltkulturerbes ist für Touristenmagneten ein Fiasko. Genau das droht jetzt aber dem Wahrzeichen Moskaus, wenn sich Stadtregierung und Kultusministerium nicht in letzter Minute auf einen Kompromiss mit einer Expertenkommission der UNESCO einigen, die in Kürze erwartet wird. Streitobjekt ist ein Denkmal, das die Weltkulturorganisation als störenden Eingriff in das historisch gewachsene Ensemble des Kremls wahrnimmt. Er und der angrenzende Rote Platz sind seit 1990 Welterbe.
Moskaus Verhandlungsspielraum für einen ehrenvollen Rückzug ist begrenzt. Das geplante Monument ist Chefsache. Denn der zu Verewigende ist kein Geringerer als Fürst Wladimir, der als apostelgleicher Nationalheiliger und Staatsgründer verehrt wird. Von 978 bis 1015 Herrscher der Kiewer Rus - des ersten Staates der Ostslawen - ließ er sich um 987 taufen, um die Ehe mit einer byzantinischen Prinzessin eingehen zu können. Damit begann die Christianisierung der Ostslawen. Erst später definierten sich Russen, Ukrainer und die Nachbarn in Belarus als eigene Ethnien. Wladimir spielt daher eine Schlüsselrolle in den Mythen um den Ursprung eigener Staatlichkeit, an denen Moskau wie Kiew seit dem Ende der Sowjetunion stricken.
Nach dem völkerrechtlich umstrittenen Russlandbeitritt der Krim 2014 entbrannte der Kampf um Wladimir in neuer Schärfe. Nicht kleckern, klotzen war angesagt, als Wladimir Putin erste Skizzen für die Statue seines Namensvetters sah. Vom Schwert umgürtet und mit dem Kreuz in der erhobenen Rechten soll sie es nun auf eine Höhe von stolzen 24 Metern bringen. Das wären vier Meter mehr als in Kiew, wo der Heilige bereits seit 1853 von einem Plateau hoch über dem Dnjepr auf die goldene Stadt zu seinen Füßen schaut.
Den Moskauern wird der Größenwahnsinn nun womöglich zum Verhängnis. Der Borowizkiplatz, wo Wladimirs Denkmal im April aufgestellt werden soll, liegt nur knapp 500 Meter vom Kreml entfernt und gehört zur sogenannten Pufferzone des Welterbes. Bauliche Veränderungen dort müssen nach UNESCO-Regeln so gestaltet werden, dass sie den Blick auf das Gesamtkunstwerk nicht beeinträchtigen. Das Denkmal indes überragt die Kremlmauer, die nur sechzehneinhalb Meter hoch ist, um fast ein Drittel. Ohne Sockel! Den, sorgen sich Denkmalspfleger, könne man bei den anstehenden Verhandlungen mit den UNESCO-Kommissaren also nicht als letzte Reserve opfern.
Putin hat inzwischen Ex-Kulturminister Michail Schwydkoi als Sonderbeauftragten für internationale kulturelle Zusammenarbeit benannt. Er wolle nicht dramatisieren, fürchte aber, die UNESCO werde hart bleiben, sagt Schwydkoi. Ein Kompromiss sei schon bei guten internationalen Beziehungen schwierig, Russlands derzeitiges Verhältnis zum Westen aber »weit vom Idealzustand« entfernt. Die Streichung von Kreml und Rotem Platz von der Welterbeliste wäre ein besonders schwer wiegender Präzedenzfall. Russland ist dort mit weiteren 26 Stätten vertreten.
Was also tun? Ein neuer, kremlferner Standort kommt nicht in Frage. Aus politischen Gründen und weil bei einer Internetabstimmung der Russischen Militärhistorischen Gesellschaft 62 Prozent der Moskauer für den Borowizkiplatz votiert hatten. Alternativ waren der Europaplatz, ein Plateau auf den Sperlingsbergen sowie vor allem der Lubjankaplatz im Gespräch. Gegen die Wladimir-Statue vor der dortigen Geheimdienstzentrale liefen aber in seltener Eintracht liberale Intellektuelle und Kommunisten Sturm. Erstere sprachen von einer Geschmacksverirrung, letztere wollen lieber Felix Dserschinski, den Gründer von Lenins Geheimpolizei Tscheka, wieder aufstellen. Dessen Statue wurde 1991 vom Lubjanka entfernt, der Sockel steht noch. Und ein heiliger Ort, so ein russisches Sprichwort, wird nie lange verwaist sein.
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