Fertig machen zum Umsturz
Pegida in Dresden wird immer radikaler
Das neueste Markenzeichen ist eine Mistgabel. Mit dem landwirtschaftlichen Gerät sowie dem Ruf »Ausmisten!« spielen Pegida-Anhänger auf eine Rede an, die ihre Frontfrau Tatjana Festerling kürzlich bei einem Gastspiel in Leipzig hielt. Die Bürger sollten, forderte die Frau mit der Gossenrhetorik, die einst für Pegida das Dresdner Rathaus erobern wollte, zu den »Mistgabeln greifen«, um die angeblich »volksverratenden, volksverhetzenden Eliten« aus Parlamenten und Gerichten, Kirchen und Medienhäusern zu vertreiben.
Die Äußerung ist »starker Tobak«, findet Hans Vorländer - und sie markiert eine neue Stufe in der anhaltenden Radikalisierung von Pegida, sagt der Politikwissenschaftler an der TU Dresden: »Das lässt sich als Aufruf zum Systemumsturz verstehen.« Es ist eine Einschätzung, mit der Vorländer nicht allein ist. Pegida sei, sagt sein Fachkollege Robert Feustel aus Leipzig, eine »völkische Bewegung, die einen anderen Staat will«. Ihr Ziel seien nicht Reformen etwa in der Zuwanderungspolitik. Es gehe vielmehr um »die Abschaffung dieses Staates«.
Seit 15 Monaten hält Pegida Dresden im Griff. In dieser Zeit gab es Höhen und Tiefen, Brüche und Wandlungen, wie Vorländer in einer jetzt vorgelegten Studie zu »Entwicklung, Zusammensetzung und Deutung einer Empörungsbewegung« skizziert. Anfangs artikulierte sich diffuse Unzufriedenheit, bei der neben der Sorge vor Zuwanderung und »Islamisierung« auch Themen wie der Ukraine-Konflikt und GEZ-Gebühren eine Rolle spielten. Nach der Spaltung vor rund einem Jahr schien es, als habe sich die Bewegung totgelaufen; erst der starke Anstieg der Flüchtlingszahlen bescherte ihr wieder Auftrieb. Eine sture Abwehrhaltung gegen die Zuwanderung ist heute ein Markenkern von Pegida: Es gehe, sagt Vorländer, um die sehr »aggressive Artikulation« von Ressentiments gegen Flüchtlinge. Sie würden von vielen Pegida-Anhängern als »Feind« empfunden, sagt Feustel, der das bei einer Anhörung der Linksfraktion im sächsischen Landtag auch als Reaktion auf zunehmende soziale Desintegration und die von neoliberaler Politik angestachelte »Konkurrenz aller gegen alle« interpretiert.
Zu den Standardparolen auf dem Theaterplatz gehört aber nicht nur »Abschieben! Abschieben!«, sondern auch »Merkel muss weg!« und »Lügenpresse!«. Vorländer spricht von »Hass- und Hetzreden« gegen die politischen und die medialen Eliten der Bundesrepublik - eines Landes und eines Systems, mit dem sich viele der Demonstranten nicht identifizieren. Viele hingen einem Politikverständnis an, das Vorländer als »vulgärdemokratisch« bezeichnet; Devise: Wir bestellen, ihr habt zu liefern. Dabei wird unterstellt, dass es ein »Wir«, ein ausschließlich gleiche Interessen vertretendes »Volk« gibt - was zum Ausdruck gebracht wird in dem aus dem Herbst 1989 und dem Umbruch in der DDR übernommenen Ruf »Wir sind das Volk!«
Diesen wiederum sieht Feustel als weiteren Hinweis dafür, dass es zumindest den Köpfen von Pegida nicht nur um die Behebung etwaiger politischer Missstände geht, sondern um die »Beseitigung dieser Regierung«. Bis dieses Ziel erreicht sei, könne Pegida eigentlich »nicht aufhören«, sagt Feustel - anderenfalls wäre man am eigenen Anspruch gescheitert.
Wie bewusst die Mehrheit der Teilnehmer solche Ziele verfolgt, bleibt offen. Vorländer sieht durchaus Unterschiede zwischen »Mitläufern« und den Organisatoren um Festerling und Lutz Bachmann. Selbst diesen scheine es - neben der Befriedigung ihrer Eitelkeit - zunächst nur um eine »Verstetigung des Protestes« zu gehen. Vorländer verweist aber auf das Wirken neurechter Aktivisten wie Götz Kubitschek oder den »Compact«-Chefredakteur Jürgen Elsässer, die bei Pegida anzudocken und diese zu einer »neuen völkischen Bewegung« werden zu lassen suchten. Beide verfolgten eine »Ein-Prozent-Strategie«, die anstrebt, einen entsprechenden Anteil der Bevölkerung als Widerstandsbewegung zu mobilisieren. Laut Vorländer sei dafür zuletzt in und um Dresden verstärkt mit Postwurfsendungen geworben worden.
Wo auch immer Pegida hintreibt: Tatsache ist, dass die Bewegung bereits jetzt das Klima in Dresden und Sachsen beeinflusst. Von einer »Radikalisierung der Rhetorik und einer Verrohung auf der Straße« spricht Vorländer. Die These bestätigt Andrea Hübler von der RAA-Opferberatung. Schon parallel zur Entstehung von Pegida ab Oktober 2014 sei die Zahl rassistischer Übergriffe deutlich gestiegen; für 2015 geht sie von der Verdoppelung der Zahlen aus. »Was bei Pegida gesagt wird, setzt man mit Gewalt auf der Straße um«, sagt Hübler, die betont, auch die Art der Gewalt habe sich »deutlich verändert« - Brandanschläge oder das Zünden von Sprengladungen, die oft aus illegalen Böllern gebaut werden, häuften sich. Ziel seien neben Flüchtlingen auch deren Unterstützer sowie jegliche Gegner von Pegida, die inzwischen regelmäßig als »linksfaschistisch« oder »grün-versifft« diffamiert werden. Insgesamt, sagt Hübler, könne man »von Glück reden, dass noch niemand zu Tode gekommen ist«.
Welche Richtung die Bewegung weiter nimmt, halten die Experten für offen. Die einst angekündigte Gründung einer Partei hält Vorländer für ausgeschlossen; dieses Feld sei durch die AfD »bestellt«. Damit sich Pegida tot läuft, brauche es ein abflauendes mediales Interesse, die Verdrängung von den symbolgeladenen Plätzen in Dresden, vor allem aber eine deutliche Entspannung der Flüchtlingskrise. Den Versuch, Anhänger durch Dialogangebote abzuwerben, hält zumindest der Leipziger Wissenschaftler Robert Feustel für aussichtslos: Bei Pegida dominiere inzwischen ein geschlossenes Gedankengebäude, das seriösen Argumenten nicht mehr zugänglich sei: »Das kann man nur noch versuchen einzugrenzen.« Eine Aufgabe, die schwer genug ist.
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