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Lernen, lernen, lernen

  • Andreas Gläser
  • Lesedauer: 3 Min.

Ich will wohlhabend sein, aber nicht viel dafür tun, und das ziehe ich auch durch: Am Vormittag lese ich Deutschlands größtes Sportmagazin. Damit verbringe ich drei Stunden, vielleicht auch vier oder fünf. Es geht um Fußballwetten. Ich muss Siege, Unentschieden und Niederlagen voraussagen. Wer spielt wie? Das steht zwischen den Zeilen, wobei die meisten Zeilen von den ewigen Vertragsverhandlungen und Rechtsstreitigkeiten der Fußballer handeln. Der »kicker« ist das reinste Börsenblatt. Welcher Fußballprofi hat mehr Spaß am Fußballspielen als ein Lohnsklave am Arbeiten?

Wer im Wohlstand leben will, muss lernen, lernen, nochmals lernen. Lenin war gut, Mann, der konnte reimen. Hätte er auch Ahnung vom Fußball gehabt, so könnte ich häufiger spazieren gehen.

Egal. Ich koche mir einen Kaffee und forsche nach den voraussichtlichen Standardergebnissen und den zwei oder drei Überraschungen. Doch wo treffen letztere ein? Neulich habe ich einige vorausgesehen. Ich kann es mir leisten, den Naivlingen, die ihr Geld im Zahlenlotto verspielen, höhnisch zuzuprosten.

Zugegeben, das sind ziemlich große Töne für jemand, der nur einige Euro gewonnen hat. Leider gab es zwischen den Bayern und irgendwelchen Preußen keine Überraschung. Ich habe nichts gegen Bayern-Siege, solange sie sich in der richtigen Tippreihe wiederfinden. Lernen, lernen ...

So, was macht der Kaffee?

Es hilft nichts, ich muss da durch, alles lesen. Das kenne ich aus verschiedenen Zeitungen: Wenn mich ein Thema interessiert, befinden sich eine Schlagzeile und einige Sätze auf Seite 1, die Fortsetzung auf Seite 4, der Kommentar auf Seite 2 und mehr dazu auf Seite 14. So wollen sie mich verrückt machen.

Im »kicker« ist es genauso. 26 A4-Seiten mit 1. und 2. Bundesliga. Zu jedem Verein gibt es einen gevierteilten Stimmungsbericht. Ich bin nur am Hin- und Herblättern. Es ist ermüdend. Wer wird spielen? Wer wird nicht spielen? Welcher Profi hat einen Muskelfaserriss, ein chronisches Erschöpfungssyndrom, eine neue Freundin, ein Knieproblem, eine Adduktorenzerrung, keine neue Freundin oder eine Sehnenscheidenentzündung? Welcher Fußballprofi ging vor kurzem noch mit patriotischen Sprüchen hausieren und dachte wenig später global?

Wenn ich vier oder fünf Stunden mit meinen Tippreihen verbringe, werde ich manchmal irre, kippe meinen Kaffee weg und gehe spazieren. So in Richtung Zocker-Laden, wo die Frau meine neuen Tippscheine entgegennimmt. »Junger Mann, ich bekomme noch 41 Euro.« Mit ihrem vielsagenden Blick trauert sie dem schönen Geld hinterher, ihre heruntergezogenen Mundwinkel verraten, dass sie glaubt, ich kann nicht mit Geld umgehen. Dabei ist es ihr Steuergeld. Souverän gebe ich ihr meine alten Scheine: »Ick bekomm noch 50 raus!«

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