Bilderstreit, Bibelworte und eine Ablassmaschine
In Eisenachs neu gestaltetem Lutherhaus kann man - unter anderem - die Zahl der Jahre im Fegefeuer verringern
»Keine Stadt kennt mich besser« - das schreibt Luther über Eisenach. Das neu gestaltete Lutherhaus in der westthüringischen Stadt nimmt den Ausspruch wörtlich. In der Ausstellung wird der große Reformator eingeordnet in weltbewegende Geschichten: Columbus entdeckt Amerika, Kopernikus den Planetenlauf um die Sonne und Italien die Antike. Der grundlegende Umbruch, der im 15. und 16. Jahrhundert vonstatten geht, erfasst auch die Kirche. Um Großprojekte wie den Petersdom zu finanzieren, fördert Papst Leo X. den Ablasshandel. Als Reaktion darauf verfasst Luther 95 Thesen, die der Überlieferung nach 1517 an der Wittenberger Stadtkirche angeschlagen werden - was ihm Reichsacht und eine »Entführung« auf die Wartburg durch seinen Kurfürsten einbrachte.
Zu dieser Zeit kannte Luther die Stadt Eisenach bereits. Zum ersten Mal kam er als 14-Jähriger in die Wartburgstadt, um die Lateinschule zu besuchen. Nach einem kurzen Aufenthalt bei Verwandten beeindruckte der Kurrendesänger Martin mit seiner schönen Stimme die Ratsherrengattin Ursula Cotta so sehr, dass sie ihn unter ihre Fittiche nahm. Ihr Haus ist mit dem heutigen Museum identisch. Das imposante Fachwerkgebäude gehört zu den ältesten seiner Art in Thüringen.
Authentisch ist auch die Pietà, die Luther in unmittelbarer Nachbarschaft im Franziskanerkloster gesehen haben muss. Sie und weitere mittelalterliche Plastiken stehen beispielhaft für den unter Reformatoren heftig geführten Streit um den Bildersturm (»Du sollst Dir kein Bildnis machen«). Auch diesem Thema widmet sich die Ausstellung.
Welchen Bedeutungswandel Christus durch die Reformation erfuhr, veranschaulicht das Gemälde von Lucas Cranach »Verdammnis und Erlösung« (1529), dessen Bildinhalte interaktiv erklärt werden. Christus wird dabei vom Weltenrichter zum Vermittler und Versöhner mit Gott.
Bis der Reformator 20 Jahre alt war, hatte er angeblich noch nie eine Bibel in der Hand, Evangelien und Episteln waren ihm nur aus Sonntagspostillen bekannt. Die Geschichte der Bibelübersetzungen - von der »Vulgata« des Hieronymus aus dem Jahr 420 bis zur 1516 durch Erasmus von Rotterdam geschaffenen Fassung - leitet auf ein zentrales Thema der Ausstellung hin: die Bibelübersetzung durch Luther im Exil auf der Wartburg von 1521/22.
Der Besucher wird zunächst ganz anschaulich in die Problematik eingeführt. An einer Medienstation können die verschiedensten Dialekte angehört werden, die in Deutschland gesprochen wurden. Nicht nur die Worte wichen beträchtlich voneinander ab, sondern auch die Begriffe für Dinge und Zusammenhänge. Es gab keine einheitliche Sprache, auf die Luther bei der Bibelübersetzung hätte zurückgreifen können. Zusammen mit Melanchthon und anderen Experten für Griechisch, die lateinische Vulgata und Hebräisch suchte er mitunter drei Wochen lang nach einem passenden Wort. Übersetzen hieß vor allem: auslegen, den Sinn des Textes verstehen.
Viele Begriffe, wie »Fallstrick« oder »Perlen vor die Säue«, gehen auf diese Arbeit zurück. Bis an sein Lebensende 1546, das Cranach durch ein Bild für die Nachwelt bewahrt, hat Luther immer wieder an der Bibelübersetzung gearbeitet. Die Psalmen zählen zu den Meisterwerken seiner Übersetzungskunst. Einen Einblick verschaffen Manuskriptseiten von Psalm 1 und 2 in der Ausstellung.
Ein weiteres Kapitel ist der Lutherrezeption gewidmet. Wie die Bibel zum Massenprodukt wurde, welche Bedeutung sie für heutige Christen und Nichtchristen hat, sind zwei Aspekte der umfänglich angelegten Betrachtung. Dazu gehört auch Luthers Judenfeindlichkeit, die sich vor allem in späteren Schriften äußert. Den stärksten Nachhall fanden sie im Nationalsozialismus. Ein 1939 geschaffenes »Entjudungsinstitut« gab ein Neues Testament heraus, in dem sämtliche Bezüge auf das Judentum herausgestrichen waren.
Besonderes Augenmerk verdienen die multimedialen Beiträge in der neuen Dauerausstellung. In einem Memory muss der Besucher herausfinden, wie Tiere in den alten Texten genannt wurden. Wer weiß schon, was ein Klippdachs ist? Oder: Beim Einräumen eines Kleiderschrankes wird vermittelt, welche Geschichten Luther in die Bibel übernahm und wo die apokryphen Schriften landeten. An anderer Stelle kann der Besucher probieren, welch heilsame Wirkung der Ablasshandel hatte - vorausgesetzt, man glaubt daran: Gegen den Einwurf von Münzen in eine Ablassmaschine kann man die Zahl der Jahre im Fegefeuer verringern.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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