Merkels letzter Getreuer

Bernd Zeller über Alternativlosigkeit für jedermann und den ultimativen Loyalitätstest

  • Bernd Zeller
  • Lesedauer: 4 Min.
Unser heutiger Bericht widmet sich der Frage, ob Angela Merkel noch die Richtige ist. Wie gesagt: Es geht um die Frage, nicht um eine Antwort, die bestimmt irgendwo dazwischen liegt.

Unser heutiger Bericht widmet sich der Frage, ob Angela Merkel noch die Richtige ist. Wie gesagt: Es geht um die Frage, nicht um eine Antwort, die bestimmt irgendwo dazwischen liegt. Wenn die Frage schon in Presse und Talksendungen aufgeworfen wird, kann man davon ausgehen, dass es in Ergänzung zum bestehenden Konsens Gesprächsbedarf gibt.

Dieser darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass in einer Demokratie, auch in einer wie der unsrigen, eine solche Fragestellung eigentlich ungehörig ist. Denn über Eignung und Richtigkeit hat für die Dauer einer Legislaturperiode das Wählervotum entschieden. Man kann einwenden, dass die Kanzlerin auch Anteile von Wählerstimmen auf sich gezogen hat, die eigentlich Peer Steinbrück galten, aber so ist es nun einmal. Steinbrück hatte vorab deutlich gesagt, dass er nur für das Kanzleramt zur Verfügung steht. In gewissem Sinne haben seine Anhänger also auch die Kanzlerschaft bekommen, die sie gewählt haben, nur eben leider mit einer anderen Person. Dies ändert nichts daran, dass Merkel nicht plötzlich eine andere Person ist, die nicht mehr die richtige wäre.

Nun sagen manche, man wusste schon vorher über Merkel nichts und konnte gar keine Gewissheit darüber haben, wen man wählt. Aber auch das entspricht der Demokratie; die Kanzlerin weiß ja auch nicht, was die Leute von ihr wollen. Man muss flexibel sein und alternativlos. Damit können alle etwas anfangen, darin finden sich alle wieder. Jeder ist für sich selbst alternativlos, gerade deshalb identifiziert jeder sich mit ihr.

In der Politik ist, das wissen viele nicht, Loyalität wichtiger als Kompetenz. Kompetenz kann man bei Beratern kaufen, Inkompetenz ist daher kein Grund für eine gebremste politische Karriere. Loyalität kann man auch kaufen, aber dann ist man erpressbar. Besser ist, man wird gefürchtet oder - auch das ist die vorteilhafte Variante in der Demokratie - man gilt als derjenige, von dem sich die nachrangigen Kräfte noch etwas versprechen, gute Wahlergebnisse und somit Aufstiegschancen. Echte Loyalität aber zeigt sich erst bei Gefolgschaft ohne Grund, und das ist es, was Merkel testet. Wer noch zu ihr steht, obwohl es keinen Grund gibt, ist ein echter Vertrauter.

Diese Eignung weist nicht nur ihr Kanzleramtsminister Altmaier auf; er ist aber derjenige, der sie noch für die Richtige halten wird, wenn sie selbst es nicht mehr glaubt. Möglicherweise ist das bereits geschehen, sie wird nur von Altmaier noch jeden Tag motiviert weiterzumachen, und dann will sie ihn nicht enttäuschen.

Allerdings fällt auf, dass Altmeier in öffentlichen Gesprächssendungen zwar den loyalen Merkel-Verfechter darstellt, aber inhaltlich nicht alles aufbietet, was er könnte. Er könnte zum Beispiel die Stimmung herumreißen, indem er darauf hinweist, dass Merkel die einzige aus der Regierungsriege war, die sich dagegen gesträubt hat, Joachim Gauck zum Bundespräsidenten zu machen. Möglicherweise spart er sich diesen Kniff als letzte rhetorische Option auf.

Eine weitere Auffälligkeit bei der Behandlung der Merkel-Frage ist der geradezu Merkelsche Mangel an Alternativmöglichkeiten, jedenfalls wird keine debattiert. Es scheint, als würde schon das Gespräch darüber als gefährlich angesehen; man weiß nur nicht, ob dann die vorgebrachte Möglichkeit damit vernichtet wäre oder ob sie zu weiteren Spekulationen führen würde, die teilweise die Bevölkerung verunsichern könnten. Sigmar Gabriel ist Vizekanzler, da fragt auch keiner, ob er noch der richtige Vizekanzler wäre. Schon dies qualifiziert ihn als Kanzlerkandidaten. Wahrscheinlicher wäre die Option Wolfgang Schäuble. Der wäre einfach da. Er hatte seinen Anspruch auf die Kanzlerschaft zurückstellen müssen, als ihm eine Sache mit Spenden angelastet worden war.

Nach diesen guten alten Zeiten würden sich viele zurücksehnen. Einer Umfrage bei Anne Will zufolge befürwortet ein Teil ihrer Talk-Gäste vom Sonntag, nämlich AfD-Frau von Storch, den Notfallplan, Angela Merkel zur Flucht nach Chile zu verhelfen. Dahinter steckt möglicherweise Seehofer, der annimmt, dass dann die Flüchtlingsströme ihr nachfolgen.

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