Russische Trucker streiken gegen die Maut
Regierung will an Abgabe festhalten, berät aber über die Abschaffung der Kfz-Steuer für Lastkraftwagen
Die Trucker auf Streikposten am Nordrand Moskaus sind trotz der Winterkälte gut gelaunt. Wer sich mit den Streikenden in Ruhe unterhalten will, geht am besten in ihre Küche auf einem Lkw. Draußen rauscht der Verkehr auf der Autobahn nach St. Petersburg. Immer wieder hört der Generator auf zu arbeiten. Dann ist es auch in der Küche dunkel.
In der Ecke kocht ein Fahrer »Makaroni po flotski« - Nudeln mit Dosenfleisch. Am Tisch sitzen Männer in dicken Jacken, mit Fell- und Wollmützen. Sie trinken Tee. Dazu gibt es eine Torte, die ein junger Mann aus Moskau mitgebracht hat. Holzregale sind bis oben mit großen Einmachgläsern gefüllt.
Es sind vor allem Fahrer aus kleinen Speditionen, die sich am Streik gegen die Mitte November letzten Jahres eingeführte neue Fernstraßen-Maut beteiligen. Die Männer am Tisch meinen, das Geld werde nicht zur Ausbesserung der Straßen verwandt, wie versprochen war. Es wandere in die Taschen von Oligarchen. Zum Beweis wird ein Video von »Russia Today« abgespielt. Es zeigt eine Garage in Woronesch, wo Polizisten vor zwei Jahren Säcke mit umgerechnet 1,7 Millionen Euro Bargeld fanden. Das Geld hatte ein Beamter der Verkehrsverwaltung unterschlagen.
Die Betreiberfirma des Mautsystems gehört je zur Hälfte dem Staat und dem Unternehmer Igor Rotenberg, Sohn des Oligarchen Arkadi Rotenberg. Der ist seit den 60er Jahren gut bekannt mit Präsident Wladimir Putin. Eine öffentliche Ausschreibung für die Vergabe des Systems habe nicht stattgefunden, sagen die Streikenden. Die Regierung sagt, sie wollte ausländische Unternehmen aus Sicherheitsgründen nicht beteiligen.
Der Streikposten im Bezirk Moskau-Chimki ist trotz starken Schneefalls seit Anfang Dezember besetzt. 15 Lkw sind mit Transparenten behängt. Die Fernfahrer fordern die Abschaffung der im November für Lkw ab zwölf Tonnen eingeführten Abgabe. Der Standort des Streikpostens auf dem Parkplatz am Nordrand Moskaus ist gut gewählt. Hier parken die Kunden der drei großen Einkaufszentren, Ikea, Mega und Aschan.
Die Polizei verhindert bereits seit Anfang Dezember, dass sich der Streikposten mit den 15 Lkw vergrößert. Die Lastzüge mit ihren Fahrern sind Überbleibsel einer Protestwelle, die Mitte November letzten Jahres über 20 russische Regionen erfasste, nun aber abgeebbt ist.
Ein erster Erfolg der Proteste war, dass die Regierung die Strafen für die Nichtzahlung der Maut von 450 000 Rubel auf 5000 Rubel (knapp 59 Euro) senkte. Im Dezember kam Wladimir Putin den Streikenden noch einen Schritt entgegen. Er schlug dem Kabinett vor, die Kraftfahrzeugsteuer für Lkw ab zwölf Tonnen abzuschaffen. Doch von einer Abschaffung der Maut will die Regierung unter dem wirtschaftsliberalen Ministerpräsidenten Dmitri Medwedew nichts wissen. Die Abschaffung der Kfz-Steuer reicht wiederum den Truckern nicht, die ist für sie ein kleinerer Posten.
Die Trucker fürchten auch eine totale Überwachung. Für die zwei Millionen russischen Lkw wurden in Russland bereits Geräte produziert, mit denen sie über das russische Satellitensystem Glonass geortet werden können. Für die kleinen, selbstständigen Spediteure ist das ein Graus. »Mit dem neuen System leiten sie uns über möglichst viele maut-pflichtige Strecken«, schimpft einer der Streikenden. Pausen und Halteorte, alles werde jetzt überwacht.
»Heute für die Straßen, morgen für die Luft« - das steht auf einem der Streikplakate. Für vieles, das es früher umsonst gab oder wofür der Staat aufkam, müssen heute die Bürger zahlen. Parkplätze im Zentrum von Moskau sind fast alle kostenpflichtig. Auch für Fremdsprachen-Unterricht und Kinder-Spielgruppen in den Schulen sowie für Operationen muss der Bürger in die Tasche greifen.
Die Streikposten wissen, dass ein Großteil der Bevölkerung mit ihrer Aktion sympathisiert. Nach einer Mitte Dezember durchgeführten Umfrage des privaten Meinungsforschungsinstituts Lewada meinten 63 Prozent der Befragten, sie würden die Proteste der Fernfahrer unterstützen. Nur zwölf Prozent der Befragten hielten die Proteste für negativ.
An einem der Lkw hängt ein großes Plakat. Das zeigt die berühmten drei Affen, die nichts hören, sehen und sagen wollen. Auf den T-Shirts der Affen prangen die Logos der staatlichen Fernsehkanäle, die über die Protestaktion gar nicht oder nur am Rande berichten. Nur Journalisten liberaler Medien wie des TV-Kanals »Doschd«, des Internet-Wirtschafts-Portals RBK und das US-finanzierten Radio Swoboda berichten über die Fernfahrer. Von den Duma-Parteien unterstützt nur die Kommunistische Partei die Streikenden.
Kreml und Regierung hüten sich aber, die Fernfahrer als Extremisten oder Vaterlandsverräter zu brandmarken. Die Politiker wissen, dass mit den Truckern nicht zu spaßen ist. Die Fernfahrer haben das Image entschlossener, unbestechlicher Männern, die Tausende Kilometer durch sibirische Schneewüsten donnern. Sie scheuen keine Risiken und nehmen zahlreiche Beschwerlichkeiten auf sich, um ihre Familien zu ernähren. Nachts schlafen sie im Truck, weil das Geld für ein Motel nicht reicht.
Das alles weiß auch Wladimir Putin, der sich auf seiner Jahrespressekonferenz im Dezember daran erinnerte, dass auch er aus einer Arbeiterfamilie komme. Die streikenden Trucker nannte er freundschaftlich »Muschiki«. So nennt man in Russland meist anerkennend hart arbeitende Männer. Doch der russische Präsident äußerte auch Kritik an den kleinen Speditionen. Viele stünden nicht unter Kontrolle der Finanzbehörden, erklärte der Kremlchef.
Die Streikposten in Chimki weisen das zurück. Sie verfügten über alle nötigen Dokumente für ihre unternehmerische Tätigkeit, sagen sie. Anders sei es auch gar nicht möglich, die zahlreichen Milizposten an den Strecken zu passieren. Die würden nur warten, dass ihnen ein Lkw mit technischen Mängeln oder fehlenden Papieren unter die Finger komme. Dann ließe sich Schmiergeld einfordern.
Für gute Stimmung unter den Streikenden sorgen auch Aktivisten aus dem liberalen und linken Spektrum, die die Fahrer mit Nahrungsmitteln, Diesel und auch Geld unterstützen. An der Küchenwand hängen Telefonnummern von Moskauern, die bereit sind, Streikende zu einem Bad in ihrer Privatwohnung abzuholen. Der Service werde rege genutzt, erzählen die Streikenden.
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