Ausnahme- als Dauerzustand
Frankreichs Justizministerin Taubira aus Protest gegen Regierungskurs zurückgetreten
Weil sie die von Präsident François Hollande angekündigte Aberkennung der Staatsbürgerschaft für französische Terroristen nicht mittragen will, ist Justizministerin Christiane Taubira zurückgetreten. Das wurde am Mittwoch in Paris im Rahmen der wöchentlichen Ministerratssitzung bekannt gegeben. Die rechtsbürgerlichen Republikaner und die rechtsextreme Front National feiern diesen Schritt als Erfolg ihrer seit Monaten anhaltenden Kritik an der »laschen Justizpolitik« der Regierung, während Linke und Grüne ihn als »mutig und konsequent« würdigen.
Die umstrittene Aberkennung der Staatsbürgerschaft wäre eine rein demonstrative Maßnahme, weil sie nur Personen betreffen kann, die noch über eine zweite Staatsbürgerschaft verfügen. Nach Völkerrechtsverträgen der UNO, die Frankreich mitunterzeichnet hat, darf niemand zum Staatenlosen gemacht werden.
Wegen des ungerechten Charakters der Maßnahme und weil es sich um eine Geste Hollandes in Richtung der Rechten handelt, die sie seit Monaten gefordert hat, gibt es starke Meinungsverschiedenheiten unter den Sozialisten und anderen linken Kräften. Die reichen bis mitten in die Regierung. Einer am Mittwoch von der Zeitung »Libération« veröffentlichten Übersicht zufolge sind nur Premier Manuel Valls, Umweltministerin Ségolène Royal, Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian und weitere neun Minister und Staatssekretäre eindeutig oder überwiegend für die Maßnahme, während 15 sie mehr oder weniger deutlich ablehnen.
Die Ministerratssitzung verabschiedete den Entwurf des Gesetzes über die Verlängerung des Ausnahmezustandes, den Hollande unmittelbar nach den Terroranschlägen in Paris Mitte November ausgerufen hat. Wenn das Parlament mehrheitlich zustimmt, woran kein Zweifel besteht, weil auch viele rechte Abgeordnete dafür stimmen dürften, dann dauert der Ausnahmezustand noch mindestens bis Ende Mai. Dass er dann noch einmal verlängert wird, hat Hollande intern bereits ausgeschlossen, weil das ein negatives Bild auf Frankreich werfen würde, wo ab 10. Juni die Fußball-Europameisterschaft ausgetragen wird.
Trotzdem dürften zahlreiche Sondervollmachten für Polizei und Justiz bestehen bleiben, da die Regierung sie in einem in Vorbereitung befindlichen Gesetz über die Terrorbekämpfung verankern will. Premier Valls hat dieser Tage am Rande des informellen Wirtschaftsgipfels von Davos erklärt, dem Ausnahmezustand vergleichbare Einschränkungen bürgerlicher Freiheitsrechte könnten so lange in Kraft bleiben, bis die Terroristen des Islamischen Staates vernichtet seien - und das könne vielleicht 30 Jahre dauern.
Dass die Sondervollmachten der Sicherheitskräfte, die ohne richterliche Kontrolle Durchsuchungen vornehmen, Hausarreste verhängen und Demonstrationen verbieten können, auf Dauer erhalten bleiben, ist für viele eine unerträgliche Vorstellung. Darum hat die Liga für Menschenrechte vor dem Staatsrat, dem Obersten Verwaltungsgericht, eine Grundsatzklage gegen den Ausnahmezustand eingereicht, über die am Mittwochnachmittag entschieden werden sollte. Nur Stunden zuvor hat Premierminister Valls vor der Rechtskommission der Nationalversammlung den Entwurf der geplanten Verfassungsänderung vorgelegt und verteidigt, durch die der Rückgriff auf den Ausnahmezustand vereinfacht werden soll. Doch Kritiker meinen, dass die Regierung durch ihren harten Kurs vor allem vermeiden will, dass man sie nach den nächsten Terroranschlägen der Leitfertigkeit bezichtigt. Dass es weitere Attentate in Frankreich geben wird, meinen Terrorexperten, stehe außer Zweifel.
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