Ein Mann ohne Kredit
Sachsen-Anhalts AfD strebt ein »Erdbeben« an, doch ihr Chef ist in Erklärungsnot geraten
Bevor André Poggenburg etwas Asche auf sein Haupt streut, wird spaziert, gepöbelt und attackiert. Es ist Mittwochabend in Magdeburg; es ist der Tag, an dem Deutschland der Opfer des Holocaust gedenkt. Aus Sicht der Alternative für Deutschland (AfD) in Sachsen-Anhalt spricht das aber nicht dagegen, Wahlkampf zu betreiben und gegen »Asyl-Chaos« zu hetzen. Vor dem verdunkelten Dom, dessen Glocken aus Protest ausdauernd läuten, hat die Partei eine Bühne wie für ein Popkonzert auffahren lassen, samt Videowand und Lautsprechertürmen. Der Aufwand wirkt etwas übertrieben angesichts der nur 450 Zuhörer, die auf den Platz zurückschlendern, nachdem sie eine Runde um die Häuser gelaufen sind - ein »Protestspaziergang«, bei dem lauthals »Merkel muss weg!« skandiert und Kameraleuten Reizgas ins Gesicht gesprüht wurde.
Nun also hüpft Poggenburg auf die Bühne und ruft den »lieben Mut- und Wutbürgern« den Slogan der AfD in Erinnerung: »Mut zur Wahrheit«. Er wolle sich daran halten und »einiges zur Person« erklären, sagt der Mann, der im Süden Sachsen-Anhalts bis Anfang 2016 eine Firma für Behälterbau betrieb. In 22 Jahren als Unternehmer habe es »Höhen und Tiefen« gegeben. Über letztere werde nun berichtet - in der »Lückenpresse«, wie Poggenburg formuliert. Lücken, gar Lügen scheint es in den Artikeln aber nicht zu geben. Ja, gesteht er: Ihm sei »Erzwingungshaft« angedroht worden, weil er Rechnungen nicht bezahlt hatte. Er müsse sich auch »gewisse Versäumnisse bei der ordnungsgemäßen Buchhaltung« vorwerfen. Wirklich verhaftet, betont der AfD-Chef, habe man ihn aber nie.
Es sind Sätze, die Poggenburg nicht ins Konzept passen. Lieber hätte er vermutlich geradewegs gegen »verkrusteten Altparteien« gewettert wie ein Vorredner oder die »tausendjährige« deutsche Geschichte gepriesen, wie es der aus Thüringen angereiste Hauptredner Björn Höcke gleich nach ihm tut. Doch der oft so alert und jungenhaft wirkende 40-Jährige ist aus dem Tritt geraten. »Haftbefehl gegen AfD-Chef«, lauten Schlagzeilen in Regionalzeitungen. Zunächst war von einem Papier die Rede, das am Amtsgericht Naumburg im November 2015 ausgefertigt wurde, weil Poggenburg einen Termin zur Offenlegung seiner Vermögensverhältnisse bei einem Gerichtsvollzieher nicht befolgt und den so genannten Offenbarungseid nicht geleistet hatte. Der AfD-Chef führte an, bei einem Einbruch in sein Haus im Oktober sowie wegen wiederholter Zerstörung des Briefkastens, an dem Sticker der AfD klebten, sei Post abhanden gekommen. Die »Mitteldeutsche Zeitung« legte indes nach: Es habe insgesamt drei Haftbefehle gegeben, die ersten zwei bereits 2013. Da war Poggenburg noch längst nicht AfD-Landeschef.
Den Verband übernahm er erst 2014, nach zermürbenden Streitereien und personellen Querelen. Seither hält Poggenburg die Zügel freilich fest in der Hand, hat Kritiker kaltgestellt und die Partei straff auf Kurs getrimmt - auf einen »völkisch-nationalistischen«, wie der Verein »Miteinander« in einer Analyse des AfD-Wahlprogramms für die Landtagswahl am 13. März feststellt. Das 68 Seiten umfassende Papier kreist um Schlüsselbegriffe der Neuen Rechten wie Volk, Nation und Identität. Schon im Vorwort wird der angeblich vorherrschende Umgang mit der deutschen Geschichte gerügt und eine »einseitige Konzentration auf zwölf Unglücksjahre« beklagt. In fünf weiteren Abschnitten kündigt die Partei an, gegen eine »Früh- und Hypersexualisierung« von Kindern vorgehen oder den Rundfunkbeitrag abschaffen zu wollen. Der »von horrenden Zwangsabgaben künstlich aufgeblähte Staatsfunk« solle umgekrempelt werden; Schulen müssten »klassisch preußische Tugenden« vermitteln; und Theater sollten »klassische deutsche Stücke spielen und sie so inszenieren, dass sie zur Identifikation mit unserem Land anregen«.
Diese Forderung ist nicht weit entfernt von der Quote für deutschen Schlager, mit der die AfD unter ihrer heutigen Bundeschefin Frauke Petry 2014 in Sachsen zur Wahl antrat und es erstmals in einen Landtag schaffte. Petry ist Poggenburg freilich nicht rechts genug; sein Vorbild ist Höcke. Wie dieser setzt er auf radikale Töne in Sachen Zuwanderung, die im Wahlkampf sein zentrales Thema ist. Während Höcke in Magdeburg einen Volksentscheid »gegen die Abschaffung des deutschen Volkes« fordert, wettern Poggenburgs Kameraden gegen die »Parallelwelten muslimischer Migranten und die daraus resultierenden Straftaten«. Wie Höcke in Erfurt versucht auch Poggenburg die AfD als »außerparlamentarische Opposition« von rechts zu etablieren, wobei die Teilnehmerzahl bei inzwischen vier Demos von 2000 auf 450 sank. Gemeinsam mit Höcke verkehrt Poggenburg auf dem Rittergut Schnellroda im Süden von Sachsen-Anhalt, wo der Publizist Götz Kubitschek mit dem »Institut für Staatspolitik« eine Denkfabrik der Neuen Rechten betreibt. Und wie sein Thüringer Idol will Poggenburg nun auch den Sprung in den Landtag schaffen. Sein Ziel sei, »eine deutsch-nationale Partei fest im Parlament zu verankern«, sagte er den Zuhörern in Magdeburg. Durch jüngste Umfragen befeuert, in denen die AfD bei 15 Prozent geführt wurde, gibt der Landeschef inzwischen »20 Prozent plus x« als Zielmarke aus. Vielleicht, orakelt er, werde seine Partei am 13. März sogar die zweitstärkste Kraft im Parlament - ein »erdbebengleicher« Erfolg, frohlockt der Spitzenkandidat.
Ob es tatsächlich so weit kommt, bleibt abzuwarten. Zwar legt die Partei in den Umfragen seit Wochen rasant zu; und manches deutet darauf hin, dass die Abstimmung in Sachsen-Anhalt zu einer Protestwahl wird - ähnlich wie 1998, als die DVU auf 12,9 Prozent kam. Manche Beobachter hoffen aber auch, dass ihre inhaltliche Radikalisierung die AfD Stimmen kostet, ebenso wie Berichte über mangelnde persönliche Integrität von Spitzenleuten. Vor vier Jahren wurde so etwas bereits der NPD zum Verhängnis. Kurz vor der Wahl wurde über Blogeinträge berichtet, in denen der NPD-Spitzenmann unter Pseudonym zur »Schändung« linker Frauen aufgerufen habe. Die NPD scheiterte mit 4,6 Prozent.
Bei der AfD scheint es derzeit eher darum zu gehen, in welcher Stärke sie im neuen Landtag vertreten ist. Poggenburg tönte auf der Bühne vorm dunklen Dom denn auch, er lasse sich »nicht beeindrucken«. Doch anders als die Umfragewerte der AfD, geht der Ruf des Spitzenkandidaten in den Keller. Dem rechtspopulistischen Magazin »Compact« hatte er unlängst noch erklärt, er sei keiner der Leute, die »ohne Mandat oder Parteijob zum Sozialfall werden«. Vor dem Dom sagt er, seine Firma lebe ohne Kredit. Kein Wunder: Die »Mitteldeutsche« zitiert Warnungen der Wirtschaftsauskunftei Creditreform über den unzuverlässigen Unternehmer Poggenburg. Von einer Geschäftsbeziehung, heißt es da, »wird abgeraten«.
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