Friesische Freiheit liegt darnieder
Im Kampf gegen die Fünf-Prozent-Hürde erlitt die Friesenpartei erneut eine Niederlage
»Lever duad as slav« - lieber tot als Sklave. Dieser alte Spruch, der das Wappen Nordfrieslands umrahmt, dokumentiert einen hohen Wert, der an deutschen Küsten seit Jahrhunderten vehement verteidigt wird: die »Friesische Freiheit«. Mit dieser Bezeichnung ist sogar eine Epoche benannt worden, die ihre Blütezeit im 13. Jahrhundert hatte und einem etwa dreihundert Jahre zuvor ergangenen fürstlichen Spruch zu verdanken ist: Keinen Herrn als nur den Kaiser sollen die Friesen über sich haben! Noch immer ist strittig, ob Karl der Große oder Karl der Dicke die Nordländer mit diesem Privileg erfreute.
Wenig erfreut mag die Regionalpartei »Die Friesen« sein, denen der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte jüngst ein Privileg versagte: die Befreiung von der Fünf-Prozent-Hürde bei Landtagswahlen in Niedersachsen. Die Straßburger Richter bestätigten damit die Auffassung des Niedersächsischen Staatsgerichtshofes, der schon 2010 eine Wahlprüfungsbeschwerde der Friesen verworfen und dazu erklärt hatte: Eine Ausnahme von der Sperrklausel, die Parteien erst ab einem Wahlergebnis von mindestens fünf Prozent den Einzug ins Parlament gestattet, sei verfassungsrechtlich nicht geboten.
Doch, meint die Partei, die in ihrem Einzugsgebiet bei der Landtagswahl 2008 gut 10 000 Stimmen bekam und mit nur 0,3 Prozent der Zweitstimmen keinen Fuß ins Leineschloss in Hannover setzen durfte. Das sei undemokratisch, argumentierten »Die Friesen«, zumal im Nachbarland Schleswig Holstein der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) per Landesgesetz von der Klausel befreit ist. Weil er eine Minderheit vertritt: rund 80 000 in Schleswig-Holstein lebende Dänen. Der SSW hatte 2012 bei der Landtagswahl 4,6 Stimmenprozent erreicht, entsandte drei Abgeordnete ins Plenum.
Als 2013 in Niedersachsen die Wahl eines neuen Parlaments anstand, machten »Die Friesen« nicht mit, entschlossen sich zum Boykott und begründeten: Die Spitzenkandidaten der SPD, Stephan Weil und Olaf Lies - jetzt Ministerpräsident und Wirtschaftsminister -, hätten 2012 auf Unterstützungsbitten der Friesenpartei nicht mal reagiert. Wenn nun die Sozialdemokraten ans Ruder kämen, sei anzunehmen, dass das Anliegen der Friesen »genauso undemokratisch behandelt wird« wie zur Zeit der schwarz-gelben Koalition.
Als sie regierte, war der Spruch des Staatsgerichtshofes ergangen, der besagt: Die von der Partei beanspruchten Sonderrechte für nationale Minderheiten ist auch in der europäischen Menschenrechtskonvention nicht enthalten. Das bestätigte jetzt der Europäische Gerichtshof. Er wies zugleich den Einwand der Partei zurück, sie habe vor dem Staatsgerichtshof in Niedersachsen kein faires Verfahren erhalten, da dieser ohne mündliche Verhandlung und »ohne gründliche Prüfung des Sachverhalts« entschieden habe. Auch die Menschenrechtskonvention, so der Hinweis aus Straßburg, sehe bei Wahlprüfungsbeschwerden keine mündliche Erörterung vor. Die Beschwerde sei abzuweisen, »Die Friesen« würden »nicht anders als alle anderen kleinen Parteien« behandelt.
Ob die Partei weiter kämpft, war bislang nicht zu erfahren. Ein allerletzter Weg gegen die Fünf-Prozent-Hürde ist ihr noch offen: Sie kann beantragen, dass die Sache erneut vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kommt - dann vor dessen »Große Kammer«.
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