»Die gefundene Formel ist eine vernünftige«

Sozialpolitiker Thomas Händel verteidigt die geplante Rentenreform der SYRIZA-geführten Regierung in Griechenland

  • Lesedauer: 3 Min.

Wie ambitioniert ist die geplante Rentenreform der griechischen Regierung?

Es handelt sich dabei um ein erstes Projekt von einer ganzen Reihe an Reformen der Arbeits- und Sozialgesetzgebung. Griechenland hat bisher weit über 300 unterschiedliche Rentenfonds mit über 900 unterschiedlichen Regelungen. Das Problem ist, dass all die Rentenfonds unterfinanziert sind, zum Beispiel der Rentenfonds der Selbstständigen. Pro Jahr müssen hier 500 Millionen Euro aus Steuermitteln zugeschossen werden. Das ist kein Zustand. Insofern ist es notwendig, eine nachhaltige Rentenversicherung aufzubauen, die Substanz hat, die den Versicherten garantiert, dass sie künftig noch eine Rente bekommen von der sie leben können. Das Programm, das ich nun kenne, ist in der Struktur überzeugend.

Thomas Händel

Thomas Händel (LINKE) ist im Europäischen Parlament Vorsitzender des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten. Dieser hat eine Monitoring-Gruppe zur Begleitung der griechischen Regierung bei den Verhandlungen der neuen Arbeits- und Sozialgesetzgebung eingesetzt. Dabei steht Händel u.a. in engem Kontakt mit dem Arbeitsminister Giorgos Katrougalos. Mit Händel sprach Katja Herzberg.

Welche Probleme bestehen bei der Umsetzung der Pläne?

Das größte Problem sind derzeit die Institutionen. Sie bestehen darauf, dass diese Rentenreform verbunden wird mit weiteren Rentenkürzungen. Eine weitere Kürzung darf es aber nicht geben, wenn man die humanitäre Krise nicht noch vertiefen will. Sie gehen auch aus Gerechtigkeitsgründen nicht. Die griechischen Renten sind jetzt auf europäischem Durchschnitt. Insofern gibt es auch objektiv keinen Grund, die Griechen zu Einsparungen im Rentenbereich zu drängen. Es sei denn, man will, dass sich SYRIZA gegenüber der Bevölkerung völlig diskreditiert.

Dennoch wird auch diese Reform mit Einbußen für die Bevölkerung einhergehen. Mehrere Berufsgruppen sind deshalb seit Tagen im Streik. Welche Position nimmt die Linke im EU-Parlament dazu ein?

Das ist ein schwieriger Spagat. Ich halte die gefundene Formel aber für eine durchaus vernünftige: Es wird eine steuerfinanzierte Grundrente von derzeit 350 Euro geben für alle, die mindestens 15 Jahre einbezahlt haben, wenn sie mit 67 in Rente gehen. Darüber wird eine beitragsfinanzierte Rente gesetzt, die den Rentenzugang nach 62 Jahren ermöglicht, 40 Jahre Beitragszahlung vorausgesetzt. Ich halte auch die Finanzierung der Mehrkosten über 1 Prozent Arbeitgebereinzahlung und 0,5 Prozent Beschäftigteneinzahlung für vertretbar. Aber wenn man 300 Rentenfonds zusammenfassen will, wird das nicht ohne Härten ablaufen, insbesondere für die besser ausgestatteten Versicherungsarten, die es bisher gegeben hat. Ich habe den Griechen daher dringend geraten, den sozialen Dialog zu suchen. Der ist nicht nur für die Gestaltung der Rentenversicherungen wichtig.

Welche Rolle kann und muss das EU-Parlament bei der Umsetzung des Kreditprogramms spielen?

Im Wesentlichen leisten wir argumentativen Beistand und stellen Öffentlichkeit her. Wir als Europäisches Parlament sind kein Verhandlungspartner. Ich habe aber angeboten - und Arbeitsminister Giorgos Katrougalos hat das angenommen - zu unterstützen und zu moderieren. Wir werden sehen, inwieweit das notwendig und gewünscht ist. In dieser Woche finden ja noch Verhandlungen mit den Institutionen statt.

Im Parlament selbst läuft derzeit der Versuch, das Griechenland-Programm als reines Finanzthema im Wirtschaftsausschuss zu verankern und den Beschäftigungsausschuss zur Seite zu schieben. Darüber werden wir nun Auseinandersetzungen haben. Denn wir wollen natürlich vermeiden, dass die Arbeits- und Sozialthemen ausschließlich unter ökonomischen Gesichtspunkten behandelt werden.

Warum wäre es wichtig, als Europäisches Parlament geschlossen gegenüber den Gläubigerinstitutionen Eurogruppe und EU-Kommission aufzutreten?

Man muss jetzt alles dafür tun, dass die Menschen in Griechenland nicht völlig die Hoffnung verlieren und den Eindruck erhalten, dass es niemanden mehr gibt, der ihre Interessen vertritt. Wenn die Institutionen jetzt mit ihren Maßnahmen der griechischen Regierung die Luft abdrehen wollen - und zwar nicht nur aus ökonomischen, sondern aus ideologischen Gründen -, dann steht zu befürchten, dass wir in Griechenland einen starken Rechtsruck erleben. Deshalb steht - trotz aller kritischen Punkte - nun die Solidarität mit SYRIZA an erster Stelle.

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