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Blockieren, besetzen, bestreiken

Von den Gläubigern angestoßene Rentenreform treibt mehrere Berufsgruppen in Griechenland auf die Barrikaden

  • Anke Stefan, Athen
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Straßenblockaden griechischer Bauern nehmen immer größere Ausmaße an. Doch auch Beschäftigte anderer Bereiche protestieren gegen die geplante Rentenreform der Regierung von Alexis Tsipras.

Straßenblockaden durch aufgebrachte Landwirte sind im griechischen Winter nichts besonderes. Fast schon traditionell machen die Bauern in den Monaten zwischen Ernte und Neubestellung der Felder auf ihre Lage aufmerksam. Sie wehrten sich so schon oft gegen Verschlechterungen, die ihnen von der jeweiligen Regierung aufgezwungen werden sollen, drängen auf die Auszahlung in der Staatskasse zurückgehaltener Steuerrückzahlungen oder von Entschädigungen für Unwetterschäden und Seuchen.

Ebenso gewohnt ist der griechische Fernsehzuschauer die wechselnden Rollen, die die Parlamentsparteien gegenüber den Protesten einnehmen. Je nachdem, ob man gerade in der Opposition oder an der Regierung ist, werden die »gerechtfertigten Forderungen der Bauern« unterstützt oder aber als »überzogene Aktionen einer privilegierten Minderheit« gegeißelt. In der übrigen Bevölkerung wird den Landwirten wenig Verständnis entgegengebracht. Hier überwiegt die Auffassung, dass sich die Bauern in den vergangenen Jahrzehnten vor allem durch falsche Abgaben zu (stillgelegten) Ackerflächen, Olivenbäumen und Ziegenherden großzügig bei diversen EU-Subventionen bedient und diese flächendeckend in den Kauf protziger Geländewagen investiert haben. Ansonsten wartet man mehr oder weniger gelassen ab, bis sich »der Spuk« mit Beginn der Frühlings wie von selbst erledigt.

Dieses Jahr aber sind die Proteste heftiger und massiver als je zuvor. An Dutzenden von Blockadepunkten stehen jeweils Tausende von Treckern auf den Straßen. Seit Beginn der Aktionen Mitte Januar hat darüber hinaus die Intensität der Blockaden zugenommen. Wurden die Autobahnen und Grenzübergänge des Landes anfangs täglich nur symbolisch für kurze Zeit gesperrt, gibt es nun vielerorts sogar Dauerblockaden von sechs bis zwölf Stunden.

Allerdings stehen die Bauern diesmal mit ihrem Protest nicht allein. Denn die von der Regierung von Alexis Tsipras auf Geheiß der Gläubigerinstitutionen von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank, Europäischem Stabilitätsmechanismus und Internationalem Währungsfonds angestoßene Rentenreform hat gleich eine ganze Reihe von Berufsgruppen auf die Barrikaden getrieben.

Gekürzte Löhne und damit verbundene geringere Einnahmen der Sozialversicherungskassen, sowie die auf über 25 Prozent gestiegene Arbeitslosigkeit haben die Rentenkassen in die Bredouille gebracht. Dazu kommt, dass deren zwangsweise in Staatsobligationen gehaltene Rücklagen beim Schuldenschnitt 2012 um 13 Milliarden Euro geschmälert wurden.

Neben den Bauern sind vor allem Selbstständige von geplanten Beitragserhöhungen betroffen. Ihre Abgaben sollen von derzeit etwa 7 auf 20 Prozent der Bruttoeinnahmen steigen. Zusammen mit den bereits erhöhten Einkommenssteuern müssten nach Berechnungen von Gewerkschaften selbst Geringverdiener mit weniger als 20 000 Euro Jahreseinkommen mehr als die Hälfte davon für Steuern, Renten- und Krankenversicherung an die Staatskasse abtreten.

Der von der einheimischen und ausländischen Presse als »Aufstand der Krawatten« betitelte Widerstand des von Prekarisierung bedrohten Mittelstands ist durchaus geeignet, die Regierung aus linker SYRIZA und nationalistischer ANEL in Bedrängnis zu bringen. Im Parlament verfügt sie nur noch über eine dünne Mehrheit von 153 der 300 Sitze. Sollte die Regierung scheitern und es zu Neuwahlen kommen, könnte dabei die konservative Nea Dimokratia mit ihrem neuen Parteivorsitzenden Kyriakos Mitsotakis gewinnen. Sie liegt jüngsten Umfragen zufolge mehrere Prozentpunkte vor der Linkspartei von Ministerpräsident Tsipras.

Mehrmals zogen in den vergangenen Wochen Tausende Juristen, Ingenieure, Ärzte und andere im Wissenschaftsbetrieb Tätige durch die Hauptstadt oder besetzten öffentliche Gebäude. Bereits zweimal wurde im Januar der für den unzählige Inseln umfassenden Staat überlebenswichtige Schiffsverkehr durch Streiks der Seeleute lahmgelegt. Die Rechtsanwälte verweigern seit Mitte Januar die Wahrnehmung von Gerichtsterminen. Am Dienstag streikten auch die Angestellten im öffentlichen Nahverkehr Athens. Diese Nadelstiche der einzelnen Berufsgruppen münden an diesem Donnerstag in einen Generalstreik. Neben den bereits Genannten beteiligen sich dann auch die Taxi- und Lastwagenfahrer, die Betreiber von Tankstellen sowie fast alle Bereiche des öffentlichen Dienstes.

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