Unterirdische Versuche
Eine Umfrage über mögliche Werbesprüche bei der BVG sorgt für Irritationen
Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) stellen Nutzer der Internetseite bei einer Befragung über Werbesprüche vor die Wahl zwischen Zotigkeit und Langeweile. Wer soll damit erreicht werden?
Von Nicolas Šustr
»Gelenkiger als deine Mudda«, »Schluckt weniger als deine Alte«, oder »Liebe Schwaben, wir bringen euch gerne wieder zum Flughafen«, gehören zum Arsenal des Schreckens, über das die BVG zufällig ausgewählte Nutzer ihrer Homepage momentan befragt. Mit »Kommse rin, könnse rauskieken« hat man auch beherzt in die Mottenkiste gegriffen.
»Das ist nur eine Befragung«, stellt BVG-Sprecherin Petra Reetz klar. »Das heißt nicht, dass diese Sprüche so kommen.« Und nennt auch Zwischenergebnisse. »Zweideutige Sachen sind mehrheitlich auf Ablehnung gestoßen«, genau so wie der stark polarisierende Schwabenspruch. Gut angekommen sei die Drafi-Deutscher-Variation »Weine nicht, wenn der Regen fällt, Tram Tram, Tram Tram.«
»Da gehen die Meinungen sehr weit auseinander. Möglicherweise ist es ein Generationenthema«, sagt Reetz über den neuen Ton, den der Landesbetrieb seit 2015 anschlägt. Allein das »Is mir egal«-Video über einen liberalen Kontrolleur, den nur die Fahrkarten interessieren, hatte bereits am ersten Tag über eine Million Zugriffe. »Damit hatten wir nicht gerechnet«, so Reetz.
»Ich bin wütend, wie mit den Fahrgästen umgegangen wird. Das ist Kindergartenniveau«, sagt Jens Wieseke, stellvertretender Vorsitzender des Fahrgastverbandes IGEB. »Da wird für das Marketing Geld rausgehauen, während gleichzeitig beim U 8-Ersatzverkehr die Fahrgäste nicht richtig informiert werden«, macht er seinem Ärger Luft.
Bereits seit Jahren kritisiert der Verband, dass für Werbung Scheiben überklebt werden. »Bus und Straßenbahn fahren an der Oberfläche. Die Berliner wollen rausschauen - und Touristen sowieso«, sagt Wieseke. Während der Verkehrsvertrag des Senats mit der S-Bahn das explizit verbietet, darf die BVG auf bis zu einem Viertel der Fensterfläche mit Rasterfolie den Durchblick einschränken.
»In der Werbebranche gibt es viele Leute, die lustige Ideen haben, aber häufig fehlt das Handwerkszeug«, sagt Mario Pschera, Marketingmitarbeiter beim »nd«. Es werde keine Zielgruppe klar. Den gemeinen Berliner spreche das überhaupt nicht an, Touristen seien meistens sowieso ohne Auto da. Schon das »Is mir egal«-Video sei mehr Werbung für Berlin als die BVG gewesen. »Auf mich wirkt das so, als müsste jemand unbedingt seinen Werbeetat verbraten«, lautet Pscheras Fazit.
»Berlin bezieht sich immer noch stark auf die wilden 1920er Jahre«, sagt Jens Wieseke. Das ist auch die Gründungszeit der kommunalen Verkehrsbetriebe. »Schon im Musical Cabaret fuhren die Leute mit der BVG in den Kit-Kat-Club. Das geht auch heute noch.« Daran könnte man aus Wiesekes Sicht gut anknüpfen. »Aber bitte nichts unter der Gürtellinie.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.