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Brandenburger Theater: Engagierte Kultur an der Havel
Das Theater Comédie Soleil lockt auch Interessierte aus Potsdam und Berlin nach Werder
Die Havelstadt Werder, etwa 40 Zugminuten von Berlin entfernt, ist vor allem für ihr Baumblütenfest bekannt. Doch es gibt auch andere Gründe, das Städtchen im Westen Brandenburgs zu besuchen. So hat etwa in bester Lage mit der Comédie Soleil ein Kulturort in einem ehemaligen Kaufhaus – laut Webseite das erste Kaufhaus der DDR – sein Domizil gefunden. In Sichtweite zur Brücke, die zur historischen Altstadt auf der Havelinsel führt, ist das denkmalgeschützte Gebäude nicht zu übersehen.
»Comédie Soleil« steht in großen roten Buchstaben über dem Eingang. Im Fenster daneben zeigt ein Plakat, dass hier politisch engagierte Kunst geboten wird. »Ich bin mir nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden wir mit Stöcken und Steinen kämpfen«, wird dort der Physiknobelpreisträger Albert Einstein zitiert.
Am vergangenen Wochenende lief das knapp 90-minütige Theaterstück »Einstein und die Bombe« zum vorerst letzten Mal in der Comédie Soleil. In dem Einpersonenstück macht sich Edward Scheuzger, der den Wissenschaftler spielt, selbst schwere Vorwürfe. Schließlich nahm sich Einstein, der sich seit vielen Jahren zum Pazifismus bekannte und für die Abschaffung aller Waffen kämpfte, selbst mit in die Verantwortung dafür, dass die Atombombe noch rechtzeitig vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs fertiggestellt und dann über Japan abgeworfen wurde.
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Der damals schon weltbekannte Physiker hatte Ende der 30er Jahre einen Brief an den US-Präsidenten verfasst, in dem er vor der Gefahr warnte, das Nazi-Regime könnte eine »Bombe neuen Typs« – die Atombombe – entwickeln und bauen. Geheimdienstberichte unterfütterten Einsteins Befürchtungen. Ab 1942 intensivierten sich die auf eigene Atombomben gerichteten Forschungsbemühungen der USA.
Einstein konnte sich immer damit trösten, dass er als bekannter Sozialist nicht zu dem Kreis der Wissenschaftler berufen wurde, der im sogenannten Manhattan-Projekt am Atombombenbau beteiligt war. Doch allein durch seinen Brief fühlte er sich im Nachhinein mitverantwortlich für die vielen Toten und lebenslang Schwerverletzten durch den Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki.
In der Comédie Soleil sind einige der Opfer am vergangenen Sonntag in einem Video zu sehen. Gut besucht war die vorerst letzte Vorstellung von »Einstein und die Bombe«. Das war nicht immer so. »Zwischendurch gab es bei den Aufführungen auch mal freie Plätze«, erklärt Karoline Hugler gegenüber »nd«. Die Schauspielerin und Regisseurin ist gemeinsam mit Julian Tyrasa, der die Aufführung inszeniert hat, für das politische Rahmenprogramm verantwortlich. Zudem obliegt den beiden seit 2013 die künstlerische Gesamtleitung der Comédie Soleil.
Im März und April wurde bei mehreren Veranstaltungen in der Comédie Soleil über den »Albtraum Atombombe« diskutiert und darüber, wie man weiter für die Abschaffung dieser Tötungsmaschinen eintreten kann. Auch der preisgekrönte Film »Oppenheimer« von Christopher Nolan kam zur Aufführung. Dort steht der führende Entwickler der Atombombe J. Robert Oppenheimer im Zentrum. Einstein wird in dem Film als berühmter alter Mann dargestellt, der seine täglichen Spaziergänge im Park der Universität absolviert.
»Die Mischung aus Kultur und politischen Diskussionen ist ein Markenzeichen der Comédie Soleil«, sagt Karoline Hugler. Auf einem Tisch am Eingang liegen Flyer und Broschüren zum Thema Friedenspolitik und Abrüstung, darunter auch Materialien der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
»Die Mischung aus Kultur und politischen Diskussionen ist ein Markenzeichen der Comédie Soleil.«
Karoline Hugler Künstlerische Leitung
Seit 2009 gibt es den engagierten Kulturstandort im Zentrum von Werder. Mittlerweile ist er auch über die Grenzen des Ortes hinaus bekannt. »Da kommen schon mal Interessierte aus Potsdam oder auch aus Berlin«, zeigt sich Hugler zufrieden. Zum Stück über Einstein seien auch Menschen gekommen, die noch wissen, dass der Physiker bis zu seinem Exil sein Sommerhaus im Örtchen Caputh bei Potsdam hatte.
Wie bei vielen engagieren Kulturprojekten mussten sich Tyrasa und Hugler natürlich auch mit dem leidigen Thema der Finanzen befassen. Seit 2014 wird das Theater von der Stiftung SPI getragen und verwaltet. Doch dabei gehe es nur um die finanziellen, nicht um die kulturellen Belange, sagt Hugler. Auch in Zukunft soll es in der Comédie Soleil engagierte Kunst geben. So ist ein Stück über Sacco und Vanzetti geplant. Die Hinrichtung der beiden anarchistischen Arbeiter in den USA jährt sich 2027 zum 100. Mal.
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