Erneut Anschlag auf Stolpersteine
36 Quader mit Farbe beschmiert - Aktivistin will sich nicht einschüchtern lassen
»Natürlich lasse ich mich nicht einschüchtern. Ich mache weiterhin genau das, was ich auch bisher gemacht habe«, sagt Petra Fritsche, Mitglied der Initiative »Stolpersteine Stierstraße« aus Friedenau. Die seit zehn Jahren in dem Verein aktive Frau ist immer noch erschüttert angesichts der Vorfälle, die sich in den letzten Tagen ereignet haben.
In der Nacht zum Mittwoch hatten Unbekannte im Stadtteil Tempelhof-Schöneberg 36 Stolpersteine mit grauer Farbe beschmiert. Der polizeiliche Staatsschutz hat die Ermittlungen aufgenommen. Die Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) kritisiert jedoch die Behörden. »Die offensichtliche Unfähigkeit und Unsensibilität beim Schutz von Erinnerungsorten und Menschen, die sich gegen Neonazismus und das Vergessen der Verbrechen der Nazis wenden, entsetzt und empört uns«, heißt es in einer Pressemitteilung vom Donnerstag. Und: »Wir wollen Ermittlungsergebnisse!«
Die erneute Schändung schließt dabei an mehrere Vorfälle aus den vergangenen Jahren an: 2015 wurden dem Berliner Register zufolge acht und 2014 sechs Angriffe gemeldet, die in Zusammenhang mit Stolpersteinen stehen. Bereits öfters blieb es nicht bei Schmierereien: Erst im September 2015 erhielt Petra Fritsche einen Drohbrief von einem »Anti-Stolper-Stein-Projekt«. Ihr wurde gedroht: »Vielleicht schaust du dich (...) mal öfters nach hinten um.« Dies war bereits der zweite Drohbrief, den Fritsche erhalten hatte. Schon zweimal wurde zudem der Schaukasten der Stolpersteininitiative in Friedenau beschädigt. Fritsche ist sich sicher, wer die Täter sind. »Die Leute, die mich bedrohen, sind eindeutig Neonazis«, sagt die Frau. »Durch rechtslastige Parteien wie die AfD oder Pegida befinden die sich im Aufwind«, sagt Fritsche weiter. Umso wichtiger sei es für sie, das Projekt der Stolpersteine weiterzuführen.
Mit den kleinen Mahnmahlen wird an Menschen erinnert, die zwischen 1933 und 1945 von den Nationalsozialisten verfolgt wurden. Unter ihnen befinden sich Juden, Sinti und Roma, Menschen aus dem Widerstand oder Homosexuelle. Die Betonquader werden meist in den Gehweg vor dem Wohnort der NS-Opfer eingelassen. Auf einer Messingplatte an der Oberseite sind der Name und das Schicksal des Menschen, an den erinnert wird, zu lesen. Hergestellt werden die Steine von dem Künstler Gunter Deming und dem Bildhauer Michael Friedrichs-Friedländer. In Buch befindet sich die Manufaktur, in der die Mahnmale in Handarbeit errichtet und nach ganz Europa verschickt werden. In Berlin liegen mittlerweile rund 6000 Stolpersteine.
»Es ist wichtig, an die Menschen zu erinnern, an die sonst niemand erinnert«, sagt Fritsche. Für die meisten Ermordeten gibt es keine Gräber und keine Grabsteine, erklärt sie.
»Durch die Stolpersteine können Angehörige Abschied nehmen. Es gibt ein Symbol für die Beendigung eines Lebens«, sagt Fritsche. Für die Nachkommen hätten die Verlegungen der Mahnmale deswegen auch eine so große Bedeutung. »Angehörige zeigen anlässlich einer Stolpersteinverlegung zum ersten Mal Fotos und Briefe der Toten«, berichtet sie. Andere Besucher würden vor den Stolpersteinen das jüdische »Kaddisch-Gebet« sprechen, um sich zu verabschieden.
Doch auch mit Blick auf heute sei ein aktives Erinnern von großer Bedeutung. »Wir sind mit Menschen konfrontiert, die wieder auf der Flucht sind«, sagt Fritsche. »Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, ist blind für die Gegenwart.«
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