Mit Papst und Birne
Die Linkspartei in Rheinland-Pfalz setzt auf ungewöhnliche Wahlplakate - zumindest Aufmerksamkeit ist ihr damit sicher
Mainz. Politisch haben Helmut Kohl und die LINKE sehr wenig gemeinsam. Und doch oder gerade deswegen wirbt die Linkspartei seit kurzem in Rheinland-Pfalz auf Plakaten mit einem Bild des Altkanzlers um Stimmen bei der Landtagswahl am 13. März. Kohl wird folgendermaßen zitiert: »Die Menschlichkeit einer Gesellschaft zeigt sich nicht zuletzt daran, wie sie mit den schwächsten Mitgliedern umgeht.«
Für den Kommunikationswissenschaftler Marcus Maurer von der Mainzer Johannes Gutenberg-Universität geht es der LINKEN vor allem um Aufmerksamkeit. »Das gelingt diesen Plakaten auf zweierlei Art: Zum einen wird der ein oder andere vermutlich genauer hinschauen, wenn er ein solches Plakat auf der Straße sieht«, so Maurer. Zum anderen kalkuliere die Partei damit, dass die Plakate wegen der provokanten Motive in den Massenmedien thematisiert würden. »Aber manch ein Wähler hätte auf den Plakaten vermutlich lieber Kandidaten der Linkspartei gesehen, die selbst etwas zu sagen haben.« Die Partei betont, der zitierte Satz von Kohl von 1998 sei heutzutage genau so aktuell wie damals. Sowohl die Politik der CDU als auch die Agenda von SPD und Grünen hätten dazu beigetragen, dass die Schere zwischen Arm und Reich seit vielen Jahren auseinandergehe.
Auch der Linkspolitiker und langjährige Fraktionschef der Partei im Bundestag, Gregor Gysi, widmete dem Plakat etwa im Kurznachrichtendienst Twitter Aufmerksamkeit. Dort schrieb er am Sonntag zu einem Foto mit dem Plakat vor dem Mainzer Dom: »Vor 25 Jahren wäre ich hierfür wahrscheinlich eingewiesen worden.« Verwendet wird das Motiv nach Angaben der Linkspartei nur in Kohls Heimat Rheinland-Pfalz, nicht aber in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt, wo im März ebenfalls neue Landtage gewählt werden. »Wir sind völlig überrascht, welches Echo es ausgelöst hat«, so der Sprecher des LINKE-Wahlkampfteams in Rheinland-Pfalz, Hermann Stauffer.
Bei Kohls Partei, der CDU, kommt das Plakat weniger gut an. CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagte in Berlin: »Die Verzweiflung bei der Linkspartei muss schon ganz schön groß sein, wenn sie auf diese Weise versucht, Aufmerksamkeit zu erheischen.« Die Landes-Union äußerte sich am Montag in Mainz auf Anfrage nicht dazu.
Heftige Debatten hat das Kohl-Plakat auf Facebook-Seiten vor allem innerhalb und im Umfeld der Linkspartei ausgelöst. »Das mit dem Papst fand ich ja noch irgendwie lustig, aber jetzt auch noch Kohl? Ausgerechnet die ›Birne‹, unser damaliger politischer Hauptgegner?«, fragt sich Waltraud Hingst, Linksfraktionschefin im Mainzer Stadtrat, die nach eigenen Angaben in der »linken Szene« der Landeshauptstadt viel Kritik vernommen hat. »Plakatmäßig ist wohl das Jahr der Peinlichkeiten ausgerufen. Wie gut, dass wir noch ein bisschen Zeit haben«, meint die Bundestagsabgeordnete Cornelia Möhring. »Der Papst war ja noch witzig, aber das Kohl-Zitat von 1998 erschließt sich erst nach dreimaligem Umdieeckedenken«, so ein Facebook-Nutzer. »Soll das ein Aprilscherz sein?«, fragt ein anderer. »Fällt Euch nichts besseres ein, als mit Helmut Kohl Wahlkämpfe gewinnen zu wollen?«, so Mario Rose. »Dieses dümmliche Genöle ist grenzwertig«, schreibt hingegen Frank Notroff. »Wer lesen kann, liest den Spruch vom Verbrecher Kohl und reibt ihn der CDU unter die Nase. Ich find es gut.« Ähnlich äußert sich José Fernandez: »Es ist im negativen Sinne beeindruckend, wie weit sich die bürgerlichen Parteien von ihren eigenen Idealen entfernt haben«.
Für LINKE-Landeschef Alexander Ulrich zählt, dass seine Partei, die als außerparlamentarische Opposition im Lande bisher kaum wahrgenommen wurde, nun in aller Munde ist. So hat das Kohl-Plakat bereits in zwei Tagen weit über 600 000 Facebook-Nutzer erreicht. »Ein Wahlplakat, über das niemand redet, hat seine Funktion verfehlt. Dieses Plakat hat es bereits am ersten Tag in die ›Bild am Sonntag‹ geschafft«, freut sich Ulrich über das Medieninteresse. nd/dpa
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.