- Kultur
- Literatur
Die Untoten von Düster
Henning Ahrens legt einen virtuosen Roman über die deutsche Seele auf Abwegen vor
Was führt einen in die deutsche Provinz? Idylle, Natur, Waldeinsamkeit, wie ein so schön romantischer Begriff lautet? Dass es Rock Oldekop noch einmal in seinen ehemaligen Heimatort, das jenseits einer ICE-Strecke gelegene »Glantz« verschlägt, hat einen anderen Grund. Wo sich in der Einöde Igel und Fuchs »Gute Nacht« sagen, will er noch einmal alte Wunden öffnen. Noch immer ist ihm der Tod seiner Eltern durch einen Hausbrand ein Rätsel, das sich allerdings nur schwer erhellen lässt.
Der Name des Mittelgebirges um das überalterte Dorf lautet »Düster« und ist in Henning Ahrens‘ neuem Roman »Glantz und Gloria« durchaus Programm. Vom Großlandwirt, über enttäuschte Jungfern, im Heimlichen lebende Kunstsammler, eine räudige Rumhänger-Jugend bis zu Untoten, die des Nachts aus den Gräbern auferstehen und Nazi-Parolen anstimmen, ist in diesem bizarren Bewohnerensemble alles vertreten. Nebulös, finster und auf beklemmende Weise deutschtümelnd wirkt die Gegend. Nachdem sich der Ich-Erzähler bald schon nicht mehr nur auf die Suche seiner familiären Vergangenheit, sondern ebenso nach der wie vom Erdboden verschluckten Ärztin Gloria macht, stößt er immer tiefer in den dämonischen Morast von Glantz vor.
Der »Volkskörper« des »Juwel[s] im deutschen Land« trennt klar zwischen innen und außen: »Wir sind wir, und wir sind hier! Weiß bleibt Weiß und Schwarz bleibt schwarz«. Obgleich sich der in Frankfurt am Main lebende Schriftsteller Ahrens einer geradezu grazil-verspielten Fabulierkunst bedient, um die eigenartige Aura einer entlegenen Waldregion aufzurufen, bricht die Wirklichkeit der jüngeren deutschen Geschichte und die gegenwärtig in Teilen der Republik wieder verbreitete Fremdenfeindlichkeit mit Brachialgewalt in die Sprache ein. Diese virtuose Textur könnte von einem Hasenbau erzählen, in dessen Innerem sich ein ungeahntes Zwergenreich befindet; sie könnte von einer verwunschenen Insel berichten, wo sich der Mensch in verzauberter Wildnis bewähren muss. Wovon sie aber de facto kundgibt, ist die deutsche Seele, zerrissen zwischen Naturromantik und verkanntem Nationalpathos, das gefährlich kippen kann.
Kein Zweifel: Glantz ist verhext. Als befänden wir uns in einem magischen Gebräukessel, worin der Sprachalchemist Ahrens allerhand Ingredienzien aus Märchenton, Grusel-Genre und Groteske mischt, geraten wir in einen wahren Sog der Ereignisse, die sich bald schon überschlagen. Als ein linksalternativer Gefährte Oldekops einen Schweinmastbetrieb in die Luft sprengt, bricht eine regelrechte Hetzjagd auf den Protagonisten und überhaupt unliebsame Mitbürger aus. Das »Schlachtfest« gilt den Außenseitern und Unangepassten. Oldekop wird gerade noch mit seinem Leben davon kommen. Und wie es das Schicksal für tapfere Helden vorsieht, wird das Abenteuer schließlich noch mit der großen Liebe belohnt.
Den zahlreichen Facetten dieses intelligenten Buches gerecht zu werden, ist wahrlich eine Herausforderung. Wir halten es wie mit einem Zauberwürfel. Je nachdem, wie wir ihn drehen, wenden und gegen das Licht halten, dürfen wir Neues sehen. Zum einen das Porträt einer rückschrittlichen und gleichsam besorgniserregenden Provinz, worin der Geist des Unmuts, der Zorn der Moderneverlierer kursiert. Zum anderen einer höchst literarischen Wunderlandschaft, wo Architektur und Raum eine ganz eigene Dynamik entwickeln: »Die Häuser am Hellweg beugten sich tief zu mir herab, beäugten und beschnupperten mich, um meine Witterung aufzunehmen.« Andernfalls »buckelte sich mir der Asphalt entgegen«. Allzu schnell kann man in Ahrens’ so humorvoller wie kritischer Panoramaschau auf das Hinterland den Boden unter den Füßen verlieren und an die Grenze dessen geraten, was man gemeinhin noch als Wirklichkeit bezeichnen mag. Doch diesen anspielungs- und pointenreichen Erschütterungen kann man nicht Herr werden. Man muss sich ihnen einfach hingeben.
Henning Ahrens: Glantz und Gloria. Roman. S. Fischer. 173 S., geb., 19,60 €.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.