- Kultur
- SPD und Union
Koalitionsvertrag: Kulturpolitisch eine Enttäuschung
Im Koalitionsvertrag stehen viele Bekenntnisse, doch die Kreativen werden an die Privatwirtschaft verwiesen
Was sind die kulturpolitischen Vorhaben im Koalitionsvertrag von CDU und SPD? Jeder Satz ist ein Bekenntnis zum Guten. Die »kulturelle Teilhabe aller Menschen« hat man im Sinn, genauso wie die ländlichen Räume, die nun endlich Zugang zur Kultur erhalten sollen. Überdies will man bei sämtlichen Vorhaben inklusiv, vielfältig und antirassistisch sein. Entsprechend soll »gesetzlich anerkannten nationalen Minderheiten in Deutschland« eine »spezifische Förderung« zuteil werden. Das soll alles die Kulturpolitik schaffen, die als »Fundament unserer Freiheit« gefeiert wird.
Dass sie dazu allerdings einer sicheren, finanziellen Basis bedarf, scheint nicht ganz so klar. Während im Koalitionsvertrag der gescheiterten Ampel nichts unerwähnt blieb, was es zu unterstützen galt – darunter beispielsweise die Clubszene, die Games-Industrie, die Künstlersozialkasse und die Bibliotheken –, halten sich CDU und SPD mit Festlegungen eher zurück. Statt innovative Schwerpunkte gezielt zu fördern, setzt man etablierte Programme wie »Kultur macht stark« oder »Kultur in ländlichen Räumen« fort und stellt andere auf den Prüfstand, aber so beiläufig, dass es kaum jemandem bei der kursorischen Lektüre auffällt. Ob es weiterhin den Kulturpass, ein Erfolgsmodell, das die Jüngeren an künstlerische Institutionen und Werke heranführt, oder eine »strukturelle Verlagsförderung« geben wird, mag man erst in der Zukunft entscheiden. Wahrscheinlich weil es eben doch an den nötigen Ressourcen für die reiche Bekenntnisprosa fehlt. Stattdessen finden sich häufig Verweise auf nicht-staatliche Geldgeber: »Kultur-Sponsoring, Mäzenatentum, private Stiftungen und Wirtschaftskooperationen können mehr Kultur ermöglichen.«
»Brauchtum, Amateurkultur und -musik« dürfen sich über höhere Mittel freuen und etablierte Institutionen gehen leer aus.
Dürfen sich, so eine der wenigen Kuriositäten im Entwurf, zumindest »Brauchtum, Amateurkultur und -musik« über höhere Mittel freuen, gehen etablierte Institutionen leer aus. Man lädt sie höflich dazu ein, sich auf dem Markt umzusehen. Oder nennt sie erst gar nicht mehr beim Namen. An keiner Stelle fällt zum Beispiel der Begriff Theater. Dabei bräuchten gerade die Bühnenhäuser angesichts gravierender Sparrunden in fast allen Ländern dringend angemessene Zuwendungen. Einerseits fordert man von ihnen in Sonntagsreden, sich als Bollwerk gegen antidemokratische Bestrebungen in Stellung zu bringen, andererseits entzieht man ihnen mehr und mehr die Grundlage ihres Handelns.
Über auswärtige Kulturpolitik heißt es , sie sei »wichtiges Element der Soft Power Deutschlands und damit ein strategisches Instrument im globalen Wettbewerb um Ansehen, Einfluss, Narrative, Ideen und Werte«. Was das in Zahlen bedeutet? Wer weiß das schon? Gewiss ist nur: Sieht man von den üblichen Willensbekundungen zur Gedenkkultur und zu weiteren Restitutionsbemühungen einmal ab, werden sämtliche rechte und autoritäre Bedrohungen außer Acht gelassen. Wann wären vollumfänglich ausgestattete Goethe-Institute und interkulturelle Austauschprogramme wichtiger als in einer Epoche wiedererstarkender Diktaturen?
Das gilt auch für das Inland. In Ostdeutschland nehmen die Rechtsradikalen jetzt schon über Haushaltsverhandlungen Einfluss auf Budgets und damit bald indirekt auf programmatische Ausrichtungen in Kultureinrichtungen. Letztere durch langfristige Finanzierungsmodelle unabhängiger zu machen und ihnen mehr Eigenverantwortung in der Wahl ihres Leitungspersonals ohne allzu große Mitsprachen der Verwaltungen einzuräumen, das hätte in einer weiteren »Zukunftskoalition« von Weitsicht gezeugt.
Übersehen wird darüber hinaus noch eine andere, zentrale Herausforderung unserer Tage, nämlich die Künstliche Intelligenz. Für sie, die die Buch- und Filmbranche gänzlich auf den Kopf zu stellen und tradierte Vergütungssysteme zu unterwandern droht, hat man lediglich drei Sätze (dafür mit einer eigenen Überschrift) übrig: Sie »steigert die Möglichkeiten menschlicher Kreativität enorm. Sie bietet großes künstlerisches und kulturwirtschaftliches Potenzial, wenn Urheberrechte gewahrt und künstlich generierte Inhalte erkennbar bleiben. Wir entwickeln mit den Ländern eine Strategie ›Kultur & KI«.» Man verschiebt Geplantes in die Zukunft, während sich der Fortschritt in diesem Segment kaum mehr bremsen lässt. Wo sind Kennzeichnungspflichten? Wo die dringend notwendigen Regularien? Wo die entsprechende Nivellierung des Urheberrechtsgesetzes?
Vielmehr wirkt es so, als hätten nicht Kultur-, sondern Wirtschaftspolitiker*innen die entsprechenden Passagen verfasst. Die «Wettbewerbsfähigkeit des Filmstandorts» wollen sie verbessern. Ferner strebt man einen Bürokratieabbau an und setzt auf «Steueranreize», um den Motor der «Kreativwirtschaft» am Laufen zu halten. Statt nach einer Vision für Schauspieler*innen, Musiker*innen und Autor*innen klingt diese Sprache eher nach einem Konzept für gefährdete Mittelstandsunternehmen.
Überhaupt soll die Privatwirtschaft den Rückzug des Staates bitteschön ausgleichen. Selten haben wir es mit einem Koalitionsvertrag zu tun gehabt, der derart unverblümt das Desinteresse an der Kultur zum Ausdruck bringt und sie in einer Ära klammer Länderhaushalte sich selbst überlässt. Kreativschaffenden stehen womöglich schwere Zeiten bevor.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.