Stürmt das Fundbüro!

Die Dokumentationen »Where To Invade Next« und »Zero Days« im Wettbewerb und als Special Screening

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 4 Min.
Der US-Amerikaner Michael Moore hat wieder einmal einen ganz und gar patriotischen Film gedreht. Die These des linken Filmemachers besticht: In Europa werden die Werte verwirklicht, die ursprünglich aus den USA stammen.

Eine zentrale neoliberale Propagandazeile lautet sinngemäß: »Die ganze Welt ist nun gleichermaßen kapitalistisch organisiert.« Und weil das so sei, dürfe sich auch eigentlich niemand mehr über die schändlichen Auswirkungen des Kapitalismus beschweren - schließlich würden ja alle mitmachen und profitieren und überhaupt: Russland, USA, China, Europa - das sei alles das gleiche System, es lohne sich also nicht weiter, über irgendwelche Unterschiede (oder gar Alternativen) nachzudenken.

Um zu wissen, dass das grundfalsch ist, muss man sich gar nicht den gigantischen Staatsbetrieben in China oder Russland zuwenden. Es reicht schon der Blick nach Europa: Wie unterschiedlich etwa die Kapitalisten in den USA und in Italien die Gesellschaften organisieren, zeigt Michael Moores neuester Streich »Where To Invade Next«.

Politische Dokumentationen

Politische Dokumentationen sind schon immer ein zentrales Element der Berlinale – in diesem Jahr nehmen zwei von ihnen am Wettbewerb um den Goldenen Bären teil: Der streitbare »Fuocoammare« konnte dabei überzeugen, während »Zero Days« fast schon ärgerlich konventionell erschien. Abseits des Wettbewerbs wurden im Berlinale Spezial Michael Moores launiger Europa-Trip »Where To Invade Next« und Sonia Kennebecks »National Bird« über Auswirkungen des Drohnenkriegs der USA präsentiert, und in Forum und Panorama laufen auch Dokus aus Deutschland.

 

Der Film ist einerseits ein »echter Moore«: emotional, polemisch, pathetisch, schnell geschnitten und - um ein Maximum an Wirkung zu erzielen - auch stark verflachend. Allerdings ist hier die Grundstimmung erheblich gelöster als bei seinen bisherigen Dokumentationen. Im Vergleich zu »Bowling for Colombine« oder »Sicko« geht es bei diesem launigen Europatrip fast schon heiter zu: Mit dem Ziel, progressive Ideen in seine Heimat USA zu exportieren, untersucht Moore in dem Film spielerisch verschiedene europäische Modelle, mit denen man das Arbeitsrecht (Italien), den Strafvollzug (Norwegen), die Geschlechtergleichheit (Island), die Bewältigung der Vergangenheit (Deutschland), die Bildung (Frankreich, Finnland), oder die Drogenpolitik (Portugal) humaner gestalten kann.

Es erscheint befremdlich, wenn ein linker US-Amerikaner ins zerrüttete Europa reist, und verkündet, wie gut es uns doch im Vergleich eigentlich geht. Das macht aber auch deutlich, dass es (bei aller höchst berechtigten Kritik am EU-System) den neoliberalen Erfüllungsgehilfen hierzulande eben noch(!) nicht gänzlich gelungen ist, »amerikanische Verhältnisse« zu etablieren, dass es also durchaus Bewahrenswertes in den europäischen Gesellschaften gibt. Das ist etwa im Zusammenhang mit den geplanten Freihandelsabkommen ein wichtiger Punkt, an den man immer wieder erinnern muss: Europa hat auf den Gebieten des Arbeitsrechts, der sozialen Sicherung, des Gesundheitswesens und des Verbraucherschutzes im Vergleich zu den USA etwas zu verlieren. Der Film birgt aber auch Gefahren: So könnten ihn Deutsche schon wieder nutzen, um die von Moore beschriebenen arbeitsrechtlichen »Wohltaten« in Italien als »soziale Hängematte der Südländer« zu diffamieren.

Bereits in anderen Filmen bestand Michael Moores Leistung weniger darin, brandneue Informationen aufzudecken. Seine Stärke ist eher, längst bekannte Missstände in ungewohntem Tenor neu zu thematisieren und sperrige Themen massentauglich zu verpacken. Denn das Problem unserer Zeit sind nicht fehlende Informationen. Wohl noch nie lagen die Skandale und die Verantwortlichkeiten so offen zutage. Woran es oft fehlt, ist eine mitreißende Kommunikation, eine neue Übersetzung. Man könnte Moore also auch als humanen Propagandisten bezeichnen oder als den Schlagerstar der Doku-Szene. Moore verfolgt dabei eine ähnliche Strategie wie die aktuelle Kino-Finanzmarkt-Farce »The Big Short«, die ihre kritischen Inhalte in einer schnell geschnittenen Popcollage versteckt. Er nutzt aber auch Schock- und Verflachungstechniken, wie man sie vom rechten US-Sender »Fox News«kennt.

Michael Moore ist US-amerikanischer Patriot, und das steht in überhaupt keinem Widerspruch zu seiner ätzenden Kritik am US-Establishment und dessen Kriegen. Und darum ist auch »Where To Invade Next« nicht antiamerikanisch. Und zu europäischer Arroganz besteht ohnehin kein Anlass: Wie Michael Moore am Ende des Films feststellt, wurden die ersten Arbeitsrechte 1886 in Chicago und nicht in Europa erkämpft, verbietet bereits der achte US-Verfassungszusatz »grausame und ungewöhnliche Strafen« und wurde auch die Frauenbewegung der Nachkriegszeit in New York und nicht in Berlin geboren. »Der amerikanische Traum lebt - außerhalb der USA«, spitzt Moore dann für Europa etwas schmeichlerisch zu, und fährt fort: »Eigentlich hatten wir diese Ideen, aber sie sind in den USA verschüttet. Wir müssen das historische Fundbüro der amerikanischen Ideen plündern!«

»Where To Invade Next« lief bei Berlinale Spezial und nicht im Wettbewerb - und da hätte er ebenso wenig zu suchen gehabt wie der Wettbewerbsbeitrag »Zero Days« von Alex Gibney. Diese fast schon ärgerlich konventionelle Dokumentation hätte ihren Platz nachts im TV gehabt, aber nicht auf der Bühne eines Festivals, das etwas auf sich hält. Gibney beschreibt die spannende, aber hinlänglich bekannte Geschichte des Computervirus’ »Stuxnet«, der 2010 zahlreiche Länder, und vor allem die Atomanlagen Irans befallen hatte. Der Film stützt die ebenfalls bekannte These, offizielle Stellen der USA und Israels hätten den Wurm auf die Welt losgelassen. Gleichzeitig rechtfertigt er diese Attacke auf zivile Infrastruktur unterschwellig, indem er Iran dämonisiert und NSA-Beamten viel zu großen Raum bietet.

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