Schlaglichter auf dem Dunkelfeld

Schleswig-Holsteins Polizei hat das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung abgefragt - und die Politiker streiten

  • Dieter Hanisch, Kiel
  • Lesedauer: 3 Min.
Jeder Vierte in Schleswig-Holstein fährt abends nicht mehr mit Bus oder Bahn, fast jeder Dritte meidet bestimmte Plätze, Straßen und Parks. Das Thema Sicherheit beschäftigt die Landespolitik sehr.

Mitten in einer Phase erhöhter Einbruchs- und Serienkriminalität ist Schleswig-Holsteins Innenminister Stefan Studt (SPD) mit einer repräsentativen Umfrage an die Öffentlichkeit gegangen, die einen Einblick ins Sicherheitsgefühl und Anzeigeverhalten der Bevölkerung gewährt. Einige Erkenntnisse aus der erstmals erarbeiteten Dunkelfeldstudie sollten den Verantwortlichen zu denken geben: So werden Sexualdelikte kaum zur Anzeige gebracht, es gibt Angstzonen in den Kommunen, die gemieden werden, und das Vertrauen in den Rechtsstaat könnte besser sein.

Das Thema Sicherheit und Polizei steht im nördlichsten Bundesland derzeit ganz weit oben auf der politischen Agenda. Bei Wohnungseinbrüchen gibt es nur geringe Aufklärungserfolge, sexuelle Übergriffe rücken mehr ins Blickfeld, die Computerkriminalität wächst offenbar kontinuierlich. Beinahe täglich gibt es Automatensprengungen, die Schließung von kleinen Polizeirevieren auf dem Land sorgt für Unruhe, viele Polizisten sind - losgelöst von ihren eigentlichen Aufgaben - bei der Flüchtlingsaufnahme logistisch gefordert. Zudem gibt es ernste Kommunikationspannen - die Sorgenliste von Minister Studt ist nicht gerade klein.

Die nun präsentierte Dunkelfeldstudie basiert auf 13 070 Fragebögen, die vom Landeskriminalamt (LKA) ausgewertet wurden. Gefragt wurde im März und April des Vorjahres, Befragungsgegenstand war das Jahr 2014. Seitdem dürfte sich die Lage eher zugespitzt haben. Der LKA-Statistik zufolge stehen im sogenannten Dunkelfeld Sexualdelikte und häuslicher Missbrauch ganz oben. Das heißt, diese Straftaten werden kaum angezeigt - nur 7,9 Prozent. Nach Erkenntnissen der Kriminologie ist der Hintergrund zu etwa 90 Prozent eine Täter-Opfer-Beziehung. In diesen Bereich fällt auch Vergewaltigung in der Ehe.

Ganz oben im Hellfeld bewegt sich dagegen das Anzeigenverhalten bei Wohnungseinbrüchen - 83,8 Prozent werden angezeigt. Dies wohl auch, um die Angelegenheit mit den Versicherungen besser regeln zu können. Dass allerdings nur jede vierte Straftat überhaupt zur Anzeige gebracht wird, macht betroffen. Bedenklich ist auch, dass 26,6 Prozent der Befragten angeben, sie hätten kein Vertrauen in den Rechtsstaat. Unzufriedenheit spiegeln aber auch noch andere Zahlen wider. 12,5 Prozent monieren eine ungerechte Behandlung durch die Polizei, 28,3 Prozent sind der Ansicht, die Polizei könnte mehr tun und 55,5 Prozent sind enttäuscht darüber, dass die Polizei zu wenig über den Fortgang eines vorgetragenen Anliegens informiere. Und auch das geht aus den LKA-Zahlen hervor: Jeder Vierte fährt abends nicht mehr mit Bus oder Bahn, knapp ein Drittel meidet bestimmte Plätze, Straßen und Parks.

Allein der Appell des Innenministers, öfter die Polizei einzuschalten, nützt natürlich wenig, wenn es am nötigen Vertrauen mangelt. Studt hat nun die Schaffung von 500 zusätzlichen Personalstellen bis 2023 angekündigt. Um aktuell zu reagieren, will er 150 Beamten, bei denen eigentlich die Pensionierung ansteht, eine Fortsetzung ihrer Dienstzeit anbieten. Zudem verspricht Studt, die Beförderungsrichtlinien und Arbeitszeiten zum Vorteil der Beamten verändern zu wollen.

Unterdessen hat Landtagsdirektor Utz Schliesky noch eine ganz persönliche Note zum Thema beigesteuert. Ins Privathaus des Landtagsverwaltungschefs sind unbekannte Einbrecher eingedrungen - genau wie bei vielen seiner Nachbarn und anderen Bürgern in der kleinen Gemeinde bei Kiel. Im Auftrag aller hat Schliesky einen Offenen Brief an Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) verfasst und auf das geschwundene Sicherheitsgefühl verwiesen. Daraufhin machte sich CDU-Fraktionschef Daniel Günther zu einem medienträchtigen Besuch bei Schliesky daheim auf, was wiederum SPD-Fraktionschef Ralf Stegner in Rage brachte. Er hielt Schliesky vor, mit diesem Treffen das mit seinem Amt verbundene politische Neutralitätsgebot verletzt zu haben.

Stegner twitterte dazu in für ihn typischer Manier: »CDU-Kapriolen in SH immer doller: Im permanenten Skandalgeschreimodus wird nun auch Landtagsdirektor für Oppositions-PR eingespannt.«

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