Clausnitz: Tillich weist Verantwortung von sich
Ministerpräsident setzt auf mehr Polizei / Oppermann warnt vor »Weimarer Verhältnissen« / 2016: Schon 17 Brandanschläge gegen Asylunterkünfte / Innenministerium zählte insgesamt über 110 Straftaten
Update 16.40 Uhr: Tillich weist Verantwortung von sich
Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich weist Vorwürfe zurück, die CDU trage eine Mitschuld an der fremdenfeindlichen Stimmung im Land. Die Verantwortung allein einer Partei oder der CDU zuzuschieben sei keine Lösung. Dann müsste es in einem anderen Land, das nicht von der CDU regiert werde, keine solchen Situationen geben, erklärte der Vorsitzende der sächsischen Union am Dienstag. Nach einer Kabinettssitzung der sächsischen Landesregierung erklärte Tillich zudem, er wolle die Anfeindungen gegen Flüchtlinge nicht länger hinnehmen und entschieden gegen fremdenfeindliche Umtriebe vorgehen. Sachsen brauche einen starken Staat. Tillich kündigte mehr Polizei und mehr Personal für die Justiz an.
Update 13 Uhr: CDU-Experin: Tillichs bisherige Bemühungen reichen nicht
Die Integrationsbeauftragte der Unionsfraktion, Cemile Giousouf, hat Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) aufgefordert, den Kampf gegen Rechtsradikalismus in Sachsen zur Chefsache zu machen. Die bisherigen Bemühungen reichten nicht aus, heißt es in einem Brief der CDU-Bundestagsabgeordneten von Dienstag. Tillich solle in der Staatskanzlei eine Arbeitsgruppe zur Kontrolle politisch motivierter Kriminalität einsetzen. Eine lautstarke Minderheit von Rechtsradikalen sei sich in Sachsen ihrer Sache allzu sicher, kritisierte Giousouf. »Die Flüchtlingskrise lässt die manifeste Ausländerfeindlichkeit nunmehr gewahr werden - vor unser aller Augen.«
Update 11.05 Uhr: Sachsens Wirtschaft sorgt sich um »Imageschaden« durch Übergriffe
Die sächsische Wirtschaft sorgt sich nach dem jüngsten rassistischen Übergriffen um mögliche wirtschaftliche Folgen für die Region. Der Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Dresden, Hamann, befürchtete im »Handelsblatt«, »dass dem damit einhergehenden Imageschaden irgendwann auch messbare Nachteile, etwa bei Auftragseingängen oder der Fachkräftegewinnung von außerhalb Sachsens folgen könnten«.
Update 10.20 Uhr: Polizeigewerkschaft will Flüchtlingsankünfte geheim halten
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert eine bessere Geheimhaltung von Flüchtlingstransfers in die Kommunen, um die Flüchtlinge bei ihrer Ankunft besser zu schützen. »Es ist nicht nur angesichts der Vorfälle in Clausnitz unnötig, die breite Öffentlichkeit in den Kommunen über den konkreten Ankunftstermin von Flüchtlingen zu informieren«, sagte der GdP-Bundesvorsitzende Oliver Malchow der in Düsseldorf erscheinenden »Rheinischen Post« (Dienstagsausgabe). Die Organisation eines Buskonvois gehe nur die Verwaltung und die Polizei etwas an. Der Städte- und Gemeindebund sieht eine höhere Stufe der Geheimhaltung der Flüchtlingsfahrten in die Kommunen kritisch. »Eine Geheimhaltungsstrategie ist der falsche Ansatz und behindert die spätere Integration«, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg.
Update 10.10 Uhr: Maaßen warnt vor zunehmender rechter Radikalisierung
Der Präsident des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, hat angesichts der jüngsten Übergriffe auf Flüchtlingseinrichtungen vor einer Radikalisierung der Gesellschaft gewarnt. Maaßen sagte am Dienstag im RBB-Inforadio, die Behörden beobachteten schon seit einiger Zeit entsprechende Tendenzen vor allem im rechten Spektrum. Die hohe Zahl von Brandanschlägen im vergangenen Jahr sei ein warnendes Signal. »Wir wollen nicht, dass von diesen Leuten eine Gefahr ausgeht für die Flüchtlinge, aber wir wollen auch nicht, dass Rechtsextremisten Einfluss haben auf die Politik in Deutschland«, sagte Maaßen.
Update 9.55 Uhr: CDU-Abgeordnete aus Clausnitz gibt Antifa die Schuld
Die CDU-Bundestagsabgeordnete Veronika Bellmann aus Clausnitz macht Antifaschisten für die agressive Stimmung vieler Bürger in Sachsen verantwortlich. In einem Interview mit dem »Focus«-Magazin sagte sie am Montagabend: »Wenn die Antifa Schilder besprüht oder unverhohlen sagt: Das Dorf legen wir in Trümmer oder in Leipzig auf Polizisten losgeht, ist das kaum ein paar Stunden in den Schlagzeilen.« Wenn aber auf Veranstaltungen »Wir sind das Volk« gerufen werde, spreche man sofort von Mob und »verbaler Gewalt«. »Dieses Ungleichgewicht regt die Leute auf«, so Bellmann. Die CDU-Politikerin kritisierte zudem die Versetzung des Heimleiters in Clausnitz: »Warum wird ihm nicht zugestanden, dass er zwischen Politik und Aufgabe trennen kann?« Eine organisierte rechte Szene in Clausnitz sei ihr nicht bekannt.
Update 9.40 Uhr: Oppermann warnt vor »Weimarer Verhältnissen«
Angesichts hoher Umfragewerte der rechtspopulistischen AfD und nach den jüngsten fremdenfeindlichen Vorfällen in Sachsen hat SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann vor Weimarer Verhältnissen in Deutschland gewarnt. »Die AfD spaltet dieses Land. Sie hetzt Menschen gegeneinander auf. Solche Töne haben wir zuletzt am Ende der Weimarer Republik gehört«, sagte Oppermann der »Bild«-Zeitung vom Dienstag. Der AfD warf der SPD-Politiker vor, eine Pogromstimmung herbeizureden. Sollte es der rechtspopulistischen Partei gelingen, womöglich mit zweistelligen Ergebnissen bei den Wahlen am 13. März in die Landtage in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt einzuziehen, werde sich Deutschland verändern, warnte Oppermann weiter. Wohin das Auftreten der AfD führe, »haben wir in Clausnitz gesehen«, fügte er hinzu.
2016: Schon 17 Brandanschläge gegen Asylunterkünfte
Berlin. Seit Beginn des Jahres sind bundesweit bereits 118 Straftaten gegen Asylbewerberheime registriert worden, wie das Bundesinnenministerium am Montag mitteilte. Neben 17 Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte gab es 27 sonstige Gewaltdelikte, 43 Sachbeschädigungen und 31 sogenannte Propagandadelikte.
Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) will als Konsequenz aus den rechten Krawallen von Clausnitz und Bautzen die jährlichen Mittel für die Rechtsextremismus-Prävention auf 100 Millionen Euro verdoppeln. Schwesig wolle das Bundesprogramm »Demokratie leben - Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit« aufstocken und die Mittel von 50 Millionen in 2016 auf 100 Millionen Euro verdoppeln, berichtete die »Passauer Neue Presse«.
Zivilgesellschaftliche Initiativen und Projekte, die sich in den Kommunen gegen Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit einsetzten, müssten bei ihrer Arbeit unterstützt werden, sagte die Sprecherin dem Blatt. Das Familienministerium habe die Forderung bereits in die Haushaltsverhandlungen eingebracht. Die Vorfälle in Clausnitz nannte die Sprecherin »beschämend«.
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter mahnte derweil rechtliche Konsequenzen für fremdenfeindliche Hetzer und Gewalttäter an. »No-Go-Areas darf es in Deutschland nicht geben. Und niemand darf sich sicher dabei fühlen, wenn er Menschen bedroht, angreift oder menschenverachtend beschimpft«, sagte Hofreiter der »Neuen Osnabrücker Zeitung«. Es grenze an »Staatsversagen«, wenn der Staat bei seiner Verantwortung für Geflüchtete kläglich scheitere. Strafrechtlich relevante Hetze sowie Übergriffe auf Flüchtlinge und Unterkünfte müssten mit allen rechtsstaatlichen Mitteln verfolgt und geahndet werden.
Am vergangenen Donnerstag waren im mittelsächsischen Clausnitz etwa 100 Ausländerfeinde lautstark gegen Flüchtlinge aufmarschiert. Am Wochenende bejubelten dann Schaulustige einen Brand in einer geplanten Flüchtlingsunterkunft in Bautzen. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich will am Dienstagmittag Stellung zur Lage in seinem Bundesland beziehen. Die sächsische SPD sieht ihren Koalitionspartner CDU in der Pflicht. Die Union müsse das Thema Rassismus endlich ganz nach oben auf ihre Agenda setzen, forderte SPD-Generalsekretärin Daniela Kolbe.
Die Polizeidirektion Chemnitz richtete nach den Vorfällen von Clausnitz eine Ermittlungsgruppe mit elf Beamten ein, die das Geschehen aufklären soll. Nicht zuletzt geht es um Vorwürfe in eigener Sache. Auf einem Video ist zu sehen, wie ein Beamter rabiat einen jungen Flüchtling aus einem Bus zerrt. Das sorgte bundesweit für Protest. Die Polizei verteidigte ihr Vorgehen als notwendig zum Schutz der Flüchtlinge.
Bundesjustizminister Heiko Maas forderte eine sorgfältige Aufklärung der Ereignisse in Clausnitz. »Klar ist: Die Polizei hat die Aufgabe, Flüchtlinge vor radikaler Hetze und Übergriffen zu schützen«, sagte Maas den Zeitungen der Funke Mediengruppe. »Rechtsfreie Räume für Fremdenfeinde darf es nicht geben.«
Die Staatsanwaltschaft Görlitz ermittelt nach einem Brandanschlag auf eine geplante Unterkunft für Asylsuchende in Bautzen in der Nacht zu Sonntag gegen drei junge Männer. Dabei geht es laut Behörde um den Vorwurf, die Feuerwehr bei den Löscharbeiten behindert zu haben. Eine solche Tat kann mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe geahndet werden. Agenturen/nd
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.