Bitte nur im Notfall töten!
»The Walking Dead« verhandelt Fragen der Philosophie. Bisher hat die Serie sieben Staffeln
Nicht die grunzenden und keuchenden Pappmaché-Zombies, die hier »Walker« bzw. »Streuner« genannt werden, sind das Faszinierende am Serienkonzept von »The Walking Dead«. Auch nicht die stereotypen, eher bescheiden daherkommenden und sich bereits nach der Betrachtung weniger Folgen als gleichförmig erweisenden Splatter- und Gore-Effekte. Man kennt all das schon: das Bewegungsmuster der unbeholfen umhertapsenden Untoten und deren begrenzte Auffassungsgabe, den immergleichen schwarzen Glibber, der den Serienprotagonisten entgegenspritzt, wenn den Zombies die Schädel zermalmt werden, die sich nicht nur so mühelos zerquetschen lassen wie faulige Früchte, sondern dabei auch die entsprechenden Geräusche erzeugen.
Das Reizvolle an der Serie, die davon erzählt, wie sich eine Hand voll Menschen mit ihrem Anführer, dem ehemaligen Polizisten Rick Grimes, durch eine unwirtliche postapokalyptische Welt voller Zombies und - nicht zu vergessen - konkurrierender, tendenziell übel gesonnener und missgünstiger anderer Überlebender schlägt, ist vielmehr die Vorstellung vom Ende der Welt, wie wir sie kennen, und der Entwurf einer Fiktion, die von der Organisation des Lebens nach der Apokalypse handelt.
Am Anfang der fünften Staffel etwa finden wir uns irgendwo in der US-amerikanischen Einöde in einer vergessenen Kirche wieder, in der unsere Überlebendenclique kurze Zeit Unterschlupf gefunden und aus Gründen der Selbstverteidigung ein kleines Gemetzel angerichtet hat. »This is the Lord’s house«, sagt der Pfarrer, als er die verstümmelten Leichen in seiner Kirche sieht. »No, it’s just four walls and a roof«, antwortet ihm Maggie, eine der Protagonistinnen. Man sieht: In einer zugrundegerichteten Welt ist wenigstens auf die transzendentale Obdachlosigkeit des Menschen noch Verlass. Es gibt keinen Gott, es gibt keinen Sinn, es gibt keine irgendwie geartete Ordnung, an der man sich festhalten oder aufrichten könnte, es gibt keine Zukunft. Alles, was es gibt, sind gefährliche hirnlose Bestien, die in alles Menschliche, was sich bewegt, ihre Zähne schlagen und es vernichten bzw. zu ihresgleichen machen, und der beständige gemeinschaftliche Versuch der umherschweifenden Gruppen der Überlebenden, ein soziales Wertesystem zu etablieren: Aufrechterhaltung menschlicher Grundwerte, Teilen der Nahrung, Füreinander da sein, gegenseitige Hilfe, Solidarität. Oder: einander hintergehen, bestehlen, ausrauben, abschlachten, um des eigenen Vorteils, des eigenen Überlebens willen.
Es geht hier also um Soziologie, Kultur, Recht, Geschichte, Moralphilosophie. Es werden Gegenstände verhandelt wie der Unterschied zwischen Gesellschaft und Gemeinschaft, Zivilisation und Barbarei. Niemand hat gesagt, dass eine Welt, in der untereinander konkurrierende, verwahrloste Rotten von Überlebenden unterwegs sind, die jeweils danach trachten, beim Plündern von Überresten der untergegangenen Zivilisation die ersten zu sein, ein Streichelzoo ist.
Wir sehen also dabei zu, wie die Versuche der Neugründung und Neuordnung menschlicher Zivilisation am Menschen selbst scheitern.
Was tun mit den schwer Kranken, Verwundeten? Sie ihrem Schicksal überlassen, um die derart dezimierte Gruppe länger durchfüttern zu können, oder sie mitschleifen, weil das ein Gebot der Humanität ist? Warum darf man einen Menschen töten, wenn er den eigenen Leib, das eigene Leben bedroht, nicht aber, um ihn aufzuessen, wenn man Hunger hat? Was tun, wenn Fanatiker, Schwerkriminelle, Rassisten, gewalttätige Arschlöcher oder schlicht psychisch angeschlagene Weirdos in der eigenen Gruppe marodieren und eine Gefahr für deren Existenz darstellen? Soll man versuchen, sie umzuerziehen, sie ins Regelsystem zu integrieren, sie entwaffnen, aus der Gruppe ausschließen und so dem sicheren Tod überantworten, sie internieren, isolieren? Wenn ja, wie? Was ist sinnvoll? Was ist moralisch richtig? Welche Gefahren bestehen?
Aufgaben, die zuvor von Polizei, Justiz, Politik, Kirchen, Krankenhäusern, Schulen und anderen Institutionen erledigt wurden, müssen verteilt werden. So etwas wie ein funktionstüchtiger sozialer Zusammenhang muss neu aus dem Boden gestampft werden, und zwar von heute auf morgen. »Just because we’re good people does not mean we won’t kill you«, erklärt Rick Grimes einmal seinem feindlichen Gegenüber. Denn das Recht muss hie und da auch mit der Machete verteidigt werden. Nein, die Geburt der Zivilisation ist kein Kindergeburtstag.
Womöglich sollte »The Walking Dead« an Schulen gezeigt werden, um dort Werte wie Solidarität und Mitmenschlichkeit zu vermitteln.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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